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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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dem Tod des Besitzers jemand hier gewesen sein musste. Wer? Hatte der Tote eine Haushälterin? Nein – nein, er unterrichtete ja nur am College. Er konnte es sich nicht leisten, jemanden anzustellen, der sein Haus sauber hielt.
    Die Motte wusste das und noch alles Mögliche andere über den Toten, Dinge, die die meisten anderen Leute nicht wussten. Die Mutter des Toten war gestorben, als er zwei war. Sein alkoholsüchtiger Vater hatte ihn seine ganze Kindheit hindurch grausam misshandelt – wären auf der Wiese größere Stücke von ihm übrig geblieben, hätten die Ermittler vielleicht die Narben gesehen.
    Der Vater des Toten hatte ihn stets an Stellen gezeichnet, die mit Kleidung bedeckt werden konnten. Diese Tatsachen hätten einen anderen vielleicht schockiert, aber auf die Motte übten sie eine ganz andere Wirkung aus. Die Motte wusste alles über verborgene Narben.
    Wie viele misshandelte Kinder war David Niles ein guter Schüler gewesen, ein Kind, das zu gefallen suchte. Sein Vater starb, als er ein Teenager war. Er wurde zur Schwester seiner Mutter geschickt, einer alten Jungfer, die in New Mexico Hunde züchtete. Er liebte Hunde. Und er liebte seine Tante. Sie finanzierte ihm das College, wo er Ben Sheridan kennen lernte, der ein oder zwei Jahre über ihm war.
    Die Motte wusste, dass es Ben Sheridans Enthusiasmus für physikalische Anthropologie war, der David Niles veranlasst hatte, sein Hauptfach zu wechseln. Niles’ Promotion verzögerte sich, als er seine Tante pflegte, die im Sterben lag. Sie hatte bereits Unterkünfte für ihre Hunde gefunden, als sie zu krank wurde, um sich um sie zu kümmern. Kein Mensch kümmerte sich um sie außer ihr Neffe. Nach ihrem Tod kehrte er zurück und schrieb seine Doktorarbeit fertig. Dann bekam er – mit Ben Sheridans Hilfe – eine Teilzeitstelle als Dozent am Las Piernas College. Kurz vor seinem Tod hatte man ihn auf eine volle Stelle befördert.
    Die Motte wusste auch, dass David Niles – nein, beschloss die Motte, nenn ihn den Toten – ein bisschen Geld von seiner Tante geerbt und es dazu verwendet hatte, dieses Haus zu kaufen, die Hundezwinger zu bauen und die Ausgaben für Anschaffung, Training, Ausrüstung, Futter und weitere Pflege für zwei große Suchhunde abzudecken.
    Die Motte wusste eine ganze Menge über jedes Mitglied der Gruppe, die mit Nicky in die Berge hinaufgezogen war, aber über den Toten wusste sie mehr als die anderen. Der hier war das Lieblingsprojekt der Motte gewesen, und so war es auch gekommen, dass eine Durchsuchung des Hauses des Toten nötig geworden war.
    Im Wohnzimmer nahm die Motte einen Hauch von Zitronen-Möbelpolitur und auf dem Teppich den Geruch der Hunde wahr. Nicht annähernd so gut, wie es Nicky gekonnt hätte. Nicky konnte Gerüche besser unterscheiden als jeder andere lebende Mensch. Daran glaubte die Motte ganz fest.
    Nicky wäre wütend geworden, wenn er erfahren hätte, dass die Motte ein ganz, ganz kleines Detail übersehen hatte. Aber die Motte würde sich jetzt gleich darum kümmern, und Nicky brauchte nie davon zu erfahren.
    Die Motte dachte an die Ablasspfropfen im Werkzeugkasten und fragte sich, warum es so elektrisierend war, Geheimnisse vor Nicky zu haben.
    Doch schon bald fühlte sich die Motte nicht mehr elektrisiert, sondern panisch. Was die Motte suchte, hätte im Wohnzimmer sein müssen, doch da war es nicht. Und auf einmal wurde das, was wie eine ganz winzige Nebensächlichkeit gewirkt hatte, höchst bedrohlich.
    Warum musste ausgerechnet dieses Ding verschwinden?
    Wusste die Polizei davon? Hatten sie die Verbindung bereits hergestellt?
    Es klopfte an der Tür. Die Motte erstarrte, schlich sich dann so leise wie möglich in eines der Schlafzimmer und versteckte sich im Wandschrank. Würde die Motte denjenigen an der Tür umbringen müssen? Nicky wäre fuchsteufelswild – die Motte war nicht in Nickys Auftrag hier. Nicky hätte so etwas vorausgeplant, er hätte es vorhergesehen! Was, wenn derjenige an der Tür nach hinten zur Garage ging und den Werkzeugkasten fand?
    Lange Momente verstrichen, in denen die Motte an den Werkzeugkasten und die Ablasspfropfen dachte und ihr übel war, speiübel.
    Es klingelte an der Tür.
    Die Motte rollte sich zu einer kleinen Kugel zusammen.
    Erst nach langer Stille fand die Motte den Mut, aufzustehen und den Schrank zu verlassen.
    Rasch durchsuchte die Motte die beiden Schlafzimmer und eines der Badezimmer, auch wenn das ein selten dämlicher Ort gewesen wäre, um das

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