Grabesstille
ist?«
»Nein, ich glaube, das hätte Miss Ellen Raice auf der Stelle ausgeplaudert.«
»Stimmt.«
Er schmunzelte. »Und du hast ja Camille Graham nicht einfach erfunden, um Stinger zu quälen, oder?«
»Nein. Also, was ist es dann?«
»Ich vertraue dir«, sagte er. Mit schelmischem Blick fügte er hinzu: »Außerdem hat es gewisse Vorteile, wenn man ein Mädchen wie dich heiratet, das nie ganz über seine katholische Herkunft hinwegkommt. Ich hätte dir das schlechte Gewissen meilenweit angesehen.«
Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, schloss ihn dann wieder und murmelte: »Du hast ja Recht«, was ihn erneut zum Lachen brachte.
Und so kamen wir zu dem Schluss, dass es Ben gut tun würde, bei uns zu wohnen. Weniger einfach war es, Ben davon zu überzeugen.
Frank fing trotzdem damit an, die nötigen Veränderungen am Haus vorzunehmen, indem er erklärte, das würde es Ben erleichtern, uns zu besuchen. Doch wir gaben beide die Hoffnung nicht auf, dass Ben es sich anders überlegen würde.
Die Schwester in Iowa rief Ben einmal an, sagte, es täte ihr Leid, von seinen Schwierigkeiten zu hören, aber sie könne ihm nicht helfen. Sie könne sich keine Reise nach Kalifornien leisten, und außerdem träfe sie sich mit einem Mann, der ihr womöglich jeden Augenblick einen Antrag machte, daher sei es strategisch gesehen momentan ungünstig für sie, Iowa zu verlassen. Er erzählte mir, dass der Anruf mehr war, als er von ihr erwartet hätte.
Er wurde in eine andere Abteilung der Klinik verlegt und begann mit zermürbenden physiotherapeutischen Sitzungen. Im Laufe dieser Wochen erhielt er weitere Anrufe von Freunden aus dem ganzen Land, aber er erklärte ihnen stets, sie brauchten sich nicht die Mühe zu machen, ihn besuchen zu kommen.
Für mich waren es betriebsame Wochen, genau wie ich gehofft hatte. Andere Kollegen aus der Nachrichtenredaktion, die langsam genug davon hatten, wie John meine Produktivität lobte, ließen hin und wieder durchblicken, dass ich jederzeit kürzer treten könnte.
Nein, konnte ich nicht.
Schließlich war ich auf der Flucht – genau wie vorher in den Bergen. Parrish schien überall zu sein. Er saß am Nebentisch im Restaurant, streifte mich auf einem überfüllten Gehsteig, ging bei einem Ballspiel die Stufen im Stadion hinab. Er kam aus einer Buchhandlung, als ich hineinging, lehnte im Dunkeln am Bartresen, als ich nach der Arbeit mit Freunden etwas trinken ging, stand am Pier und starrte mir nach, wenn ich am Strand joggte. Er saß hinten im Bus, wenn ich einstieg, und fuhr an mir vorbei, wenn ich spazieren ging. Einmal sah ich ihn vor mir in einen Auf zug steigen – ich nahm die Treppe, vier Etagen nach oben.
Ich bin ohnehin kein Fan von Aufzügen.
Obwohl jedes einzelne Mal so beängstigend war wie das erste Mal, lernte ich, weder zu kreischen noch wegzulaufen oder hinzuzeigen – und schließlich niemandem zu sagen, was mich auf einmal hatte bleich werden lassen, niemandem ein Sterbenswörtchen davon zu sagen. Und das, obwohl ich wusste, dass Frank mich nicht belächeln würde, wenn ich ihm von jeder Begebenheit erzählte. Was spielte das schon für eine Rolle? Ich schämte mich zu sehr, um mich nicht selbst zu belächeln.
Wenn ich nicht arbeitete, besuchte ich Ben oder traf Vorbereitungen für seine Entlassung aus dem Krankenhaus. Ich kehrte ohne Bingle in Davids Haus zurück und putzte – nur für den Fall, dass wir unsere Auseinandersetzung mit Ben verloren. Ich fragte Ben, ob ich irgendetwas mit Davids Sachen machen sollte. Er verneinte. »Nur eines: Könnten Sie ein paar dieser Trainingsvideos mitbringen? Ich glaube, Schwester Theresa besorgt mir einen Videorekorder.«
»Nonnen bestechen?«
»Sie müssen gerade reden, Sie Hundeschmugglerin.«
»Was für Trainingsvideos?«
»Die von Bingle und dem Such- und Bergungsteam. Die Gruppe hat einige der Trainingseinheiten aufgezeichnet, damit sie studieren können, wie die Hunde arbeiten und wie die Trainer mit ihnen umgehen. David hat sich die Bänder immer wieder angesehen. Sie stehen im Bücherregal.«
»Sie wollen also anfangen, mit dem Such- und Bergungsteam und einem Leichenhund zu arbeiten?«
Er blickte auf sein linkes Bein hinab und antwortete dann mit entschlossenem Blick: »Ja. Wenn Bingle beschließt, dass er nicht mit mir arbeiten will, gut. Aber David hat viel Zeit in das Training mit ihm investiert, und das Mindeste, was ich für David und Bingle tun kann, ist, es zu versuchen. Und niemand kann mir
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