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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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verkrüppelt, aber das ist wirklich seine eigene verdammte Schuld. Irene hat ihn gepflegt. Ja, sie hat sogar –«
    »Hey, Win!«, brüllte ich so laut ich konnte.
    Jegliches Gelächter und jegliches Gespräch verstummten.
    »Hey, Win«, wiederholte ich leise. »Lecken Sie mich am Arsch.«
    Ich ging hinaus. Doch dabei hörte ich sie erneut zu lachen anfangen – zuerst nervös, und dann machte einer der Männer irgendeinen Witz, den ich nicht mitbekam, und sie schütteten sich allesamt aus vor Lachen.
     
    »Und was ist dann passiert?«, fragte Jo Robinson weiter.
    Aber ich war wie gelähmt und beobachtete einen Mann, der über den Parkplatz ging.
    Er ist es.
    Panik verkrampfte jeden Muskel meines Körpers.
    Er hat herausgefunden, dass ich allein hier bin. Wenn ich hier herauskomme, wird er …
    Im nächsten Moment erkannte ich, dass er es nicht war.
    Genau wie all die anderen Male war er es nicht.
    »Irene?« Jo Robinsons Stimme drang zu mir durch. Hatte sie es bemerkt?
    »Ich stand neben Stuart Angerts Schreibtisch«, sagte ich und zwang meine Gedanken zurück zu den Ereignissen jenes Tages. »Irgendwie bin ich in diesen – diesen seltsamen Zustand geraten. Ich hörte ein Rauschen in den Ohren und dann, danach, nichts mehr. Es war fast, als wäre ich unter Wasser, ohne das Wasser – kein Laut, nicht einmal das Geräusch meiner eigenen Gedanken. Ich habe niemanden gesehen und nichts gefühlt.
    Aber ich habe Stuarts Computer-Monitor gesehen und die Stecker aus seiner Rückseite gezogen. Lydia sagt, Stuart hätte mich gefragt, was ich da mache, aber ich habe ihn weder gehört noch wahrgenommen. Mit beiden Händen habe ich den Monitor vom Tisch gezogen – es ist ein großer Monitor, aber sein Gewicht habe ich auch nicht gespürt. Ich habe ihn durch eines der Glasfenster am Gottesbüro geschleudert. Ich habe gehört, wie das Glas splitterte – das war das Erste, was ich gehört habe.«
    »Und danach?«
    »Danach haben sie aufgehört zu lachen.« Sie wartete, und als ich wieder zum Fenster trat, fragte sie: »Wissen Sie noch, was passiert ist, nachdem sie zu lachen aufgehört hatten?«
    »Man hat mich gezwungen, Urlaub zu nehmen, und mir erklärt, dass ich erst zurückkommen könnte, wenn ich eine Therapie gemacht hätte.«
    »Ich habe gemeint, direkt nachdem Sie die Glasscheibe zerbrochen hatten.«
    Ich runzelte die Stirn und sagte dann: »Eigentlich nichts. Es gab jede Menge Geschrei und – es ist mir peinlich, das zuzugeben, weil ich ja an diesem Punkt eine Rede hätte halten oder sonst etwas machen sollen – Sie wissen schon, einen großen Abgang hinlegen, aber stattdessen bin ich quasi in Ohnmacht gefallen.«
    »Quasi in Ohnmacht gefallen?«
    Ich kehrte zu einem der Stühle in ihrer Nähe zurück, setzte mich und blickte auf meine Hände hinab, die ich vor dem Körper gefaltet hatte. »Ich wurde nicht richtig bewusstlos, aber auf einmal konnte ich nicht mehr aufstehen, und im nächsten Moment haben mich Stuart und – ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wer, aber es waren eine Menge Leute um uns herum, die mich vor Wrigley und seinen Freunden abschirmten. Zumindest kam es mir so vor, und Wrigley und eine der Frauen brüllten, und John brüllte etwas zurück und Lydia, Mark und Stuart auch – ausgerechnet Stuart! Er brüllt sonst nie jemanden an. Stuart hat gebrüllt. Und die Frau sagte: ›Ich will, dass sie rausfliegt!‹, als wäre sie irgendjemand bei der Zeitung. Es war schon fast ein richtiger Aufstand.«
    Sie goss mir ein Glas Wasser ein.
    »Danke«, sagte ich und nahm es. »Ich kann immer noch nicht …«
    »Was können Sie nicht?«
    »Ich habe oft Durst«, murmelte ich und trank, bevor sie weitere Fragen stellen konnte.
    »Ziemlich verrückt, was?«, sagte ich. Sie schenkte mir Wasser nach.
    »Durst zu haben?«
    »Nein, Sie wissen schon, in der Arbeit Sachen zu zerschlagen. Teure elektronische Geräte durch Glaswände in Räume zu schleudern, in denen Leute sitzen.«
    »Glauben Sie, dass Sie verrückt sind?«
    »Nein – ja – ich weiß nicht.«
    »A, B, C oder alles drei?«, fragte sie.
    »Ich habe das Gefühl«, antwortete ich mit zitternder Stimme, »dass ich die Kontrolle verloren habe. Das macht mir Angst.«
    Sie wartete einen Moment, bevor sie fragte: »Abgesehen von diesem Vorfall in der Arbeit – was lässt Sie darauf schließen, dass Sie die Kontrolle verloren haben?«
    »Ich weiß es nicht. Vermutlich liegt es daran, dass … dass ich mich nicht konzentrieren kann. Ich schlafe nicht viel.

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