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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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verlaufen wäre, wenn Frank derjenige gewesen wäre, der mir diese Nachricht überbracht hätte. Doch Frank war an dem Tag, als sie gefunden wurde, im Gericht und sagte als Zeuge in einem anderen Fall aus. Daher erfuhr ich in der Arbeit von Parrishs jüngstem Opfer – an einem Tag, an dem keine Möglichkeit bestand, Kontakt zu meinem Mann aufzunehmen.
    Als Mark Baker in der Redaktion erschien, um die Geschichte ins Blatt zu bringen, waren die anderen Reporter bereits in heller Aufregung darüber. Ich hatte schon gehört, dass Parrish eine weitere Leiche hinterlassen hatte. Allein die Nachricht gab mir das Gefühl, als mache sich jemand mit Schmirgelpapier an meinen Nervenenden zu schaffen.
    Mark war hereingekommen, um mit John zu sprechen, und John winkte mich zu ihnen. Mit grimmigem Blick sagte John: »Sie sollten wohl besser Bescheid wissen, bevor die anderen Sie danach fragen.«
    »Mich danach fragen?«
    Und so schilderte mir Mark die Einzelheiten. »Finger und Zehen dieser Unbekannten wurden abgetrennt und fehlen. Sie war eine blauäugige Brünette. Ihren Namen wissen wir noch nicht, aber Ihr Name war in ihre Brust geritzt.«
    Ich merkte, wie sich mein Magen hob. Hastig entschuldigte ich mich, rannte zur Toilette und übergab mich.
    Ich wusch mich und sah dann mit gewisser innerer Distanziertheit in den Spiegel, studierte mein angespanntes, zu mageres Gesicht und die dunklen Ringe unter den Augen. Distanziertheit wurde langsam zu einer meiner bevorzugten Gefühlslagen. Allerdings wurde dies ständig hintertrieben – diesmal dadurch, dass die Tür aufging und ich zusammenzuckte.
    Es war Lydia. Sie fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Nein«, antwortete ich.
    »Vielleicht war es gar nicht er«, meinte Lydia. »Es könnte auch ein Nachahmungstäter sein.«
    »Na, das wäre ja sehr beruhigend«, entgegnete ich und fragte mich später, wie viel von meinem Sarkasmus sie noch ertragen würde.
     
    »Und das ist drei Tage, bevor Sie zu Mr. Wrigley gerufen wurden, passiert?«, fragte Jo Robinson.
    »Ja.«
    »Fahren Sie fort.«
    Ich wandte mich wieder zum Fenster.
     
    Als ich das Gottesbüro betrat, lächelte Wrigley und hielt eine unangezündete Zigarre in der Hand. (Die kalifornischen Anti-Raucher-Gesetze kamen in der Liste der Dinge, die ihm das Leben schwer machten, gleich nach den Klagen wegen sexueller Belästigung.) Ich wurde noch argwöhnischer. Wrigleys Heiligenschein hängt stets an seinen Hörnern. Die beiden Paare bei ihm stellte er mir als Freunde der Familie vor, die auf Besuch in der Gegend waren und heute extra, um mich kennen zu lernen, in der Redaktion vorbeigekommen seien.
    »Um mich kennen zu lernen?«, fragte ich. »Das begreife ich nicht.«
    »Sie sind doch die Frau, die Nick Parrish entkommen ist, stimmt’s?«, fragte einer der Männer.
    Ich sah Wrigley an. Er kennt mich seit vielen Jahren, und deshalb hörte er auf zu lächeln. Seine Gäste schienen nichts zu bemerken.
    »Oh! Das muss ja so schrecklich gewesen sein!«, sagte die eine Frau, aber bei ihr klang das Wort »schrecklich« eher wie »aufregend«.
    »Wie ist er denn wirklich?«, fuhr sie fort. »Es heißt, er hätte mehr Frauen ermordet als Ted Bundy. Und man sagt, er sei genauso gut aussehend wie Bundy.«
    »Er ist nicht gut aussehend«, stieß ich hervor. »Entschuldigen Sie mich bitte, ich muss wieder an die Arbeit.«
    »Nicht unbedingt gut aussehend«, korrigierte die andere Frau, »aber charmant. Es heißt, damit lockt er Frauen an.«
    »Laufen Sie nicht davon«, sagte einer der Männer, als er sah, wie ich mich auf die Tür zubewegte. »Schließlich sind Sie hier beim Chef, oder, Win?«
    Win? Noch nie hatte ich gehört, dass ihn jemand so nannte.
    »Allerdings«, sagte Wrigley. »Irene war von seinem Charme nicht angetan«, fügte er hinzu und versuchte sich zu fangen. »Sie ist durch und durch ein Profi. Sie hätte ihn ja sogar fast umgebracht!«
    Das ließ die weiblichen Mitglieder seines Publikums nach Luft schnappen.
    »Und sie war die Einzige dort oben, die schlau genug war, um sich weder töten noch verletzen zu lassen!«, sagte er und fing langsam Feuer für sein Thema. »Sie hat diesem einen Idioten das Leben gerettet, der, nachdem die Schießerei begonnen hatte, auf die Wiese gerannt ist – kann man sich überhaupt vorstellen, dass jemand dermaßen dämlich ist?«
    »Mr. Wrigley –«, begann ich wütend, aber offenbar konnte er mich bei den ungläubigen Ausrufen und dem Gelächter nicht hören.
    »Jetzt ist er

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