Grabesstille
Anfahrtsweg gehabt, nur um von der Ranger-Station überhaupt zu der Straße zu gelangen. Von dort aus hätte er fast in die gleiche Richtung zurückfahren müssen, aus der er gekommen war, und nachdem er den Geländewagen geparkt hätte, hätte er eine mühsamere Wanderung zur Wiese vor sich gehabt als die, die er von der anderen Straße aus angetreten hatte. Es wäre fast permanent bergauf und über steiles Gelände gegangen.
»Sie waren mit dem Geländewagen des Forest Service unterwegs«, sagte Frank. »Parrish war zu Fuß. Es wäre grotesk zu vermuten, dass er die längere, steilere Route zur Ranger-Station und zurück gewählt hat.«
J. C. der mit der Gegend wesentlich vertrauter war als wir anderen, meinte: »Das stimmt. Und ich glaube, Irene hat Recht mit ihrer Vermutung, dass er einen Partner hatte. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass er die Hubschrauber allein sabotiert hat, aber wenn man sich’s überlegt – er hätte bei einem Wolkenbruch und im Dunkeln marschieren müssen. Dabei hätte er ein paar wirklich üble Stürze riskiert.«
»Parrish ist ein erfahrener Wanderer«, fügte Ben hinzu. »Aber er ist nicht so gut in Form wie Sie, J. C. Sie kommen wesentlich schneller voran als irgendeiner von uns, Andy eingeschlossen. Parrish hätte eine ziemlich große Strecke bei Nacht und im Regen zurücklegen, den Hubschrauber sabotieren, zurückwandern und dann noch die Energie aufbringen müssen, am nächsten Tag einen Baum abzuhacken.«
»Dabei fällt mir ein«, sagte ich. »Hat eigentlich irgendjemand aus unserer Gruppe eine Axt mit da rauf genommen?«
»Ja«, antwortete Ben. »Es war eine in der Campingausrüstung, die die Polizisten mitgebracht haben.«
»Oh.«
»Du scheinst enttäuscht zu sein«, sagte Frank.
»Ich habe nicht gesehen, wie irgendjemand sie benutzt hätte«, erklärte ich. »Wenn sie nicht Teil der Ausrüstung unserer Gruppe war, hätte das auf einen Komplizen schließen lassen – auf jemanden, der Parrish die Axt gebracht hat.«
»Wer sollte denn einem Mann wie Parrish helfen?«, wollte J. C. wissen.
»Sein Anwalt«, meinte Ben.
»Sein Anwalt war verletzt«, wandte Frank ein.
»Außerstande, ein Auto zu fahren?«, hakte Ben nach.
Frank schüttelte den Kopf. »Nein, und er konnte auch gehen, wenn es sein musste. Aber Phil hatte nichts zu gewinnen und alles zu verlieren, wenn sein Klient entfloh.«
»Hat Parrish irgendjemanden angerufen, solange er in Haft war?«, erkundigte ich mich.
»Nein«, antwortete Frank. »Aber wenn wir richtig liegen, brauchte er gar keine Anrufe zu tätigen. Er bestimmte das Ziel der Exkursion, also wusste sein Partner – oder seine Partner –, wohin er gehen würde. Und das Aufbruchsdatum konnte man leicht der Presse entnehmen.«
»Arbeiten denn Serienmörder normalerweise nicht allein?«, fragte J. C.
»Normalerweise schon, aber nicht immer«, antwortete Frank. »Der Hillside-Würger Kenneth Bianchi und sein Cousin Angelo Buono haben gemeinsam gefoltert und gemordet. Und in Houston hat Dean Allen Coryll mindestens siebenundzwanzig junge Männer mithilfe zweier Freunde umgebracht, die ihm wissentlich seine Opfer vorbeigebracht haben.«
»Mörder sind nicht unbedingt Einzelgänger«, stimmte Ben zu. »Und anscheinend finden es manche Frauen sogar aufregend, mit einem Mörder zusammen zu sein. Es gibt mittlerweile sogar eine Website, auf der Frauen Kontakt zum Häftling ihrer Träume knüpfen können.«
»Aber das ist doch etwas anderes, oder nicht?«, wandte ich ein. »Eine Frau, die ihren Brieffreund aus dem Gefängnis heiratet, nachdem er gefasst wurde, ist nicht vom gleichen Schlag wie eine, die ihm dabei hilft, seine Opfer zu quälen und zu ermorden.«
»Nein«, stimmte Frank zu, »aber es gibt zahlreiche Beispiele von Paaren, die vor der Festnahme zusammengearbeitet haben. Paul Bernardo und Karla Homolka haben gemeinsam gefoltert, vergewaltigt und gemordet – beim ersten Mal hat sie ihm dabei geholfen, ihre eigene Schwester zu vergewaltigen und umzubringen. In Nebraska hat sich Caril Fugate gemeinsam mit ihrem Freund auf eine monatelange Mordtour begeben, die mit ihren Eltern und ihrer zweijährigen Schwester begann.«
»Charles Starkweather, stimmt’s?«, sagte Ben. »Über die ist ein Film gedreht worden.«
»Ja. Es gibt noch andere. Coleman und West, die Gallegos, die Neelleys –«
»Und warum haben sie das getan?«
»Die jahrhundertealte Frage, was? Sexuelle Obsession, Gier, Macht – was du willst. Manchmal werden die
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