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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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rannte immerfort zwischen uns und den anderen Hunden hin und her, aber wenn Deke und Dunk hinter ihm mit hohem Tempo auf Ben zurasten, scheuchte er sie von seinem neuen Herrn weg. »Er passt auf, dass mich andere Hunde nicht anrempeln«, erklärte Ben. »Ein Dienst, den ich manchmal vermisse, wenn er nicht da ist. Aber ich lerne langsam, das Gleichgewicht ein bisschen besser zu halten.«
    »Wie läuft es mit dem Spanisch?«
    »Die Hundebefehle beherrsche ich immer besser«, antwortete er. »Alles andere muss ich mir noch hart erarbeiten.«
    »Warum hat David Bingle eigentlich auf Spanisch trainiert?«
    »Aus zwei Gründen. Bingle hat ursprünglich einem alten Mann gehört, der nur Spanisch sprach, und David hat Spanisch gelernt, nachdem wir uns an Sucharbeiten nach einem Erdbeben in Südamerika beteiligt hatten. Die Sprachbarriere hat uns frustriert, und David meinte, es könnte auch für Fälle hier in Südkalifornien nützlich sein. Jedenfalls hat dieser alte Mann den Hund geliebt, aber es fiel ihm schwer, mit Bingle Schritt zu halten. Er hat David gesagt, dass ›Bocazo‹ – das war sein Name für Bingle – einen dynamischeren Partner verdient hätte.«
    »Bocazo?«, lachte ich. »Das ist Spanisch und heißt ›Großmaul‹.«
    Ben schmunzelte. »Er hat sich seinen Ruf wohl schon früh erarbeitet.«
    »Und was war der zweite Grund?«
    »Es war etwas, womit niemand rechnen würde. Ich mei ne, da kommt dieser angelsächsische College-Dozent und spricht spanisch. Wenn er Such- und Bergungsarbeiten durchgeführt oder sich auf Leichensuche begeben hat, hat das die Leute oft für ihn eingenommen. Die Menschen waren in furchtbaren Situationen – zum Beispiel während sie darauf gewartet haben, dass er ein Gebäude durchsucht, das bei einem Erdbeben in Südamerika eingestürzt ist. Obwohl Spanisch viele Dialekte hat, haben sie verstanden, was er zu dem Hund gesagt hat, und das hat ihre Angst ein bisschen gelindert. Die beiden waren wunderbare Botschafter für uns andere.«
    »Es war auf jeden Fall hilfreich, dass Parrish kein Spanisch konnte.«
    »Weshalb?«
    Mir wurde klar, dass ich ihm nie erzählt hatte, was passiert war, nachdem ich ihn allein gelassen hatte, um den Bach zu überqueren.
    Gleich nachdem ich aus den Bergen nach Hause gekommen war, hatte ich Frank alles erzählt, was dort geschehen war, aber sonst niemandem, und seitdem war ich dem Thema hartnäckig ausgewichen. Jetzt fragte ich mich, ob Frank, der mich oft bedrängt hatte, alles mit Ben zu besprechen, in der Hoffnung mit J. C. und den Hunden vorausgegangen war, dass ich genau das tun würde.
    Also streng dich an, sagte ich mir. Es ist der ideale Zeitpunkt, um darüber zu reden.
    »Parrish verstand kein Spanisch, daher dachte er, als ich Bingle anwies, zu Ihnen zu gehen und auf Sie aufzupassen, ich würde ihm lediglich befehlen, zu verschwinden.«
    Ein einziger Satz. Ich hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Ben. Er blieb stehen und starrte mich an. »Ihr Artikel in der Zeitung – Sie haben nicht erwähnt, dass Sie ihm noch mal so nahe gekommen sind. Es klang so, als sei er in die Falle gestolpert, die Sie ihm gestellt haben, und verletzt davongelaufen. Und als ob Sie anschließend weggerannt wären und sich versteckt und auf die Rettung gewartet hätten.«
    Panik überfiel mich. In meinen Gedanken presste mir Parrish das Gesicht in den Schlamm. Ein paar Sekunden lang war es fast so, als geschähe es wieder.
    »Irene!«, sagte Ben erschrocken. »Irene, was ist denn?«
    »Ein andermal, okay?«, sagte ich. Ich merkte, dass ich Tränen auf dem Gesicht hatte, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, wann ich zu weinen angefangen hatte.
    Zwischen uns herrschte schon seit geraumer Zeit ein unverkrampfter Umgang mit Tränen. Frank, Jack und ich hatten die seinen sehen dürfen. Ich glaube, das traf nicht auf viele andere Menschen zu.
    Als er bei uns gewohnt hatte, bekamen viele Leute zu sehen, »wie tapfer Ben ist« – obwohl ihm Kommentare dieser Art ein Gräuel waren. Ben zeigte der Welt eine entschlossene Miene. Es war kein Theater – es war eben nur nicht die ganze Palette.
    Zuerst war ein fast unablässiger Strom von Besuchern gekommen – Freunde von der Universität, Kollegen, die mit ihm im KELT-Team gearbeitet hatten, und andere. Dazu kam der aufreibende Stundenplan mit Terminen zu Hause und in verschiedenen Praxen, die seine Genesung und Wiederherstellung fördern sollten – Ärzte, Krankenschwestern,

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