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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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in dieser Richtung gearbeitet als ich. Vielleicht zu viel.« Er sah zu mir herüber. »Er hatte in letzter Zeit eine Menge brutaler Fälle. Und ein paar MTFs – er gehört zum KELT-Team für unsere Region.«
    »Was ist ein MTF?«, fragte ich.
    »Entschuldigung. Ein Massentodesfall – ein Unglück, bei dem zahlreiche Menschen ums Leben kommen. Naturkatastrophen oder andere Ereignisse – Erdbeben, Krawalle, Bombenanschläge –«
    »Flugzeugabstürze?«
    »Ja. Ben ist vor ein paar Wochen zu dem in Oregon gerufen worden.«
    »Der Pendlerflug, der in den Cascades abgestürzt ist?«
    »Ja. Siebenundachtzig Tote. Dabei waren wir gerade erst von der Arbeit nach der Überschwemmung in Sacramento nach Hause gekommen, als das KELT-Team zu diesem Einsatz angefordert wurde.«
    »Was ist ein KELT-Team?«, fragte ich und zog am Seil, da Bingle mich damit stupste.
    »Ein Katastrophen-Einsatz-Leichenschau-Team. Es wird von der Regierung organisiert. Nehmen wir mal an, Sie sind Leichenbeschauer oder Bestatter in einer ländlichen Gegend und haben es mit – na, sagen wir mal – nur ein paar Leichen pro Woche zu tun. Dann stürzt in der Nähe ein Flugzeug in den Wald, und auf einmal müssen Sie mit zweihundert Leichen fertig werden. Normalerweise sind bei einem Massenunfall der örtliche Leichenbeschauer und die Bestattungsunternehmen heillos überfordert. Wenn der Leichenbeschauer Hilfe bei der Identifizierung der Opfer und deren Überführung braucht, kann das KELT-Team eine mobile Einheit mitsamt den nötigen Fachleuten herbeiholen. Es gibt zehn KELTs, nach Regionen aufgeteilt. Ben gehört zu dem für diese Region.«
    »Aber das hier ist etwas anderes«, wandte Andy ein. »Selbst wenn er an Kriminalfällen mitgearbeitet hat, ist es garantiert das erste Mal, dass er so etwas wie diesen Kojotenbaum zu sehen bekommt.«
    David zuckte mit den Achseln. »Mag sein. Sie würden sich wundern, was wir schon alles gesehen haben, Andy. Dinge, die …« Er verstummte. Dann schüttelte er den Kopf und rief nach Bingle. Kurz darauf sagte er: »Ben würde sich da hinten nicht so viel Zeit nehmen, wenn er nicht der Überzeugung wäre, etwas daraus lernen zu können.«
    »Was denn?«, wollte Andy wissen.
    »Vielleicht sind sie eine Methode der Buchführung«, warf ich ein.
    »Die Anzahl der Opfer?«, fragte David. »Kann sein. Oder vielleicht sind die Kojoten eine Art Einstimmungsritual, die Vorbereitung auf einen Mord. Oder vielleicht hat er, wenn er nicht die Sorte Opfer finden konnte, die er gesucht hat, einen Kojoten getötet.«
    »Aber das würde ja bedeuten, dass sie schon sehr lange hier hängen«, sagte ich. »Dann wären sie in einem schlimmeren Zustand.«
    David nickte. »Es sei denn, er hat sie mit irgendeiner Chemikalie behandelt, um sie zu konservieren. Genau das versucht Ben wahrscheinlich herauszufinden.«
     
    Auf einmal stellte Bingle die Ohren auf, und seine Haltung wurde steif. Er beschnupperte die Luft und begab sich mit aufgestellten Nackenhaaren in eine schützende Position neben David. » Tranquilo. Mir fehlt nichts, Bingle«, erklärte David. Der Hund sah zu ihm auf und ließ sich dann zu seinen Füßen nieder.
    Schon bald sahen wir, was Bingle gehört und gerochen hatte: Die vier Wachleute mit Parrish stießen zu uns, und kurz darauf Flash und Bob Thompson. Ben Sheridan kam als Letzter herbeigeschlendert, gedankenverloren und ohne jemanden von uns zu grüßen.
    Thompson sah auf die Uhr und stieß einen genervten Seufzer aus. »Wir haben nur noch zwei Stunden Tageslicht. Können wir es vor Sonnenuntergang bis dorthin schaffen, wo das Grab liegt?«
    »Gewiss«, antwortete Parrish.
    Er führte uns einen steilen Weg durch dichten Wald hinunter zu einem kleinen Teich. Thompson markierte ihn auf seinem GPS, als Parrish sagte: »Nein, nein, nicht hier.« Er ging in eine andere Richtung weiter, zurück durch die Bäume und über einen Bach. Nachdem wir den Wald durchquert hatten, brachte er uns auf eine langgestreckte Wiese.
    »Hier auch nicht«, erklärte er und führte uns wieder weiter.
    Ich fragte Thompson, welche Position ihm sein GPS angab und verglich sie mit den Messungen, die ich mit meinem Kompass vorgenommen hatte. Ich wollte ihm gerade mitteilen, was ich herausgefunden hatte, als David ihm etwas zurief.
    »Bingle zeigt Interesse an der letzten Wiese«, sagte er. »Das wäre es wert, sich länger dort aufzuhalten –«
    »Wir haben sie auf dem GPS markiert«, unterbrach ihn Thompson. »Ich gebe Parrish noch eine

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