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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Parrish an, er sei ein »krankes Schwein«, während Manton Mühe hatte, seinen Kollegen davon abzuhalten, den Gefangenen zusammenzuschlagen. Parrish hörte nicht auf zu lächeln.
    Ich hatte mit angesehen, wie die anderen am Kojotenbaum ankamen. Ihre Gesichter hatten zuerst Grauen und dann Wut ausgedrückt. Ben Sheridan war zwar zunächst erschrocken, als er den Baum sah, musterte ihn nun jedoch gelassen. Er wandte sich an Flash. »Davon werden wir Bilder brauchen, Mr. Burden.«
    Als Merrick sah, wie Ben anfing, sich Notizen zu machen, brüllte er: »Macht Sie das geil, Sheridan?«
    »Maul halten, Merrick«, sagte Bob Thompson ohne jede Schärfe und ging näher auf den Baum zu, um ihn ebenfalls zu betrachten.
    »Aus verschiedenen Perspektiven bitte, Mr. Burden«, verlangte Ben und fügte mit einem Seitenblick auf Merrick hinzu: »Wenn Sie Videoaufnahmen machen, stellen Sie bitte den Ton ab. David, vielleicht wäre es das Beste, Bingle wegzuführen.«
    »Etwa fünfzig Meter weiter ist eine kleine Lichtung – den Weg da entlang«, erklärte Parrish und zeigte hin. Niemand dankte ihm für seine Hilfe.
    Ich blieb noch eine Weile, doch niemand sagte mehr etwas. Ich sah, wie Thompson sein GPS herausholte. Ich benutzte meinen Kompass, um die Lage des Baums zu bestimmen.
    Ich fragte mich, ob Thompson verlangen würde, dass die Anklage gegen Parrish um das hier erweitert würde – vielleicht konnte J. C. im Namen des Forest Service klagen. Ich zwang mich, die Kojoten zu zählen: Es waren zwölf. Sie schienen alle mit irgendeiner Schicht überzogen zu sein. So sehr ich auch mit dem Verstand versuchte, mich abzugrenzen, drehte sich mir bei dem Anblick doch der Magen um. Ich wandte mich an Parrish. »Warum?«
    Er grinste und sagte: »Fühlen Sie sich mit ihnen verwandt? Vielleicht möchten Sie, dass ich Sie zu ihnen hänge. Damit sie sich in der Brise an Ihnen reiben.«
    Plötzliche Wut wallte in mir auf, doch ebenso schnell erkannte ich, dass er meine Reaktion genoss – also biss ich die Zähne zusammen und sparte mir eine Erwiderung.
    Ruhig bat mich Thompson zu gehen, und ausnahmsweise kam ich seiner Bitte gern nach.
    Als ich Andy und David eingeholt hatte, spielten sie mit Bingle Tauziehen mit einem Baumwollseil, das das abgenutzte Aussehen eines Lieblingsspielzeugs aufwies. Ich spielte mit. Der Hund schüttelte das Seil immer wieder heftig, hüpfte stolz auf der Lichtung herum, wenn er es einem von uns abgenommen hatte, sah voller Vergnügen drein, wenn er die anderen wissen ließ, wer die Begegnung gewonnen hatte, und musterte uns verschmitzt, um den nächsten Gegner herauszufordern. Fast reichte das aus, um unsere Gedanken davon abzulenken, was am Baum vor sich ging. Aber nicht ganz.
    »David«, sagte Andy, »Sie haben doch schon öfter solche Typen erlebt. Was glauben Sie, warum Parrish das getan hat?«
    »Dafür könnte es eine Reihe von Erklärungen geben«, antwortete David. »Aber wenn Sie es wirklich genau wissen wollen, tja, dann müssten Sie einen Gerichtspsychologen auf ihn ansetzen.«
    »Er ist wahnsinnig«, sagte Andy.
    »Nicht im Sinne der gesetzlichen Definition«, widersprach David. »Man hat ihn für geistig voll verhandlungsfähig erklärt.«
    »Newly zufolge ist Parrish als Kind massiv misshandelt worden«, sagte ich.
    »Ach?«, sagte David. »Vielleicht ja, vielleicht nein. Seine Mutter ist tot und seine Schwester unter ungeklärten Umständen verschwunden, also haben wir nur Parrishs Wort dafür, dass er misshandelt wurde. Ja, vermutlich ist er der einzige Mensch auf der Welt, der weiß, wo seine Schwester ist. Glaubt einer von Ihnen, dass sie noch atmet?«
    Schweigen.
    »Hat er seine Mutter umgebracht?«, wollte Andy wissen.
    »Nein«, antwortete ich. »Sie ist eines natürlichen Todes gestorben. Aber einer der Psychologen, der ihn befragt hat, glaubt, ihr Tod hätte für ihn der Auslöser gewesen sein können.«
    David schüttelte den Kopf. »Psychologen müssen wohl versuchen, ihn zu verstehen. Ich für mein Teil glaube, dass ich einen Mann wie Nick Parrish wohl nie richtig verstehen werde. Andere Menschen überstehen Misshandlungen und führen ein produktives Leben, ohne Frauen und Tiere zu quälen. Parrish kann man nicht erklären. Da sind Bingles Handlungen für mich nachvollziehbarer.«
    »Und warum ist Ben dort geblieben und studiert diesen – diesen Baum?«, fragte Andy.
    »Damit wir den nächsten Nick Parrish gleich bei seinem ersten Kojoten schnappen können. Ben hat schon wesentlich mehr

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