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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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ausstoßen. Ich hielt Ausschau nach dem Hund und entdeckte ihn, wie er vor David auf und ab hüpfte und kaum einen Blick für mich übrig hatte, da er sich auf seinen Besitzer konzentrierte, der gerade eine der Taschen mit Bingles Ausrüstung aufmachte. David rief mir einen Gruß zu und wies Bingle an, sich zu setzen. Der Hund gehorchte sofort, doch schien es seine gesamte Disziplin zu erfordern, dem Befehl nachzukommen. Der Körper des Tieres war angespannt, und seine Augen musterten David aufmerksam. Er hatte die Ohren nach vorn gespitzt, und seine Wangen bebten leicht unter den aufgeregten Atemzügen.
    David lächelte mich an. »Wünschen Sie sich nicht auch, Sie würden dem Beginn Ihres Arbeitstags derart entgegenfiebern?«
    Er zog ein ledernes Halsband heraus, und Bingles Schwanz begann hektisch durch die Kiefernnadeln am Boden zu wedeln.
    »Für ihn ist es ein Spiel. Nichts als ein großes Spiel. Sein Lieblingsspiel.« Er ersetzte das bunte Nylon-Halsband, das Bingle getragen hatte, durch ein ledernes.
    »¿Estás listo?«, fragte er den Hund. »Bist du bereit?«
    Bingle stellte sich hin und bellte.
    »Darf ich mitkommen?«, fragte ich. »Oder lenkt das Bingle zu sehr ab?«
    »Nein, er ist es gewöhnt, dass andere Leute uns begleiten. Wenn meine Hundetrainer-Gruppe zusammen übt, sind immer mindestens zwei Leute mit dem Hund unterwegs. Bei den meisten Suchunternehmungen sind Kriminalbeamte, eine Rettungsmannschaft oder andere Leute dabei. Bingle hat gelernt, sich von ihnen nicht ablenken zu lassen.«
    Während wir mit dem Hund zum Rand der Wiese marschierten, war Bingles Aufmerksamkeit derart auf David fixiert, dass ich schon fürchtete, der Hund werde gegen einen Baum laufen.
    »Prima Bedingungen«, sagte David zu mir. »Sehen Sie, wie sich das Gras auf der Wiese bewegt?« Er zog einen kleinen, rundlichen Plastikgegenstand heraus und drückte ihn. Eine zarte Wolke feines Puder stob daraus hervor, und er studierte dessen Bewegung, als es vorüberzog.
    »Schöne Brise, weht direkt auf uns zu«, stellte er erfreut fest. »Feuchte Luft. Versuchen wir mal, mit der Arbeit ein bisschen voranzukommen, bevor es zu warm wird, ¿Está bien?, Bingle?«
    Bingle bellte vor Ungeduld einmal scharf auf.
    »Gut, gut, gut«, sagte David.
    »Wau, wau, wau«, erwiderte der Hund mit fast perfekter Imitation.
    »¡Busca al muerto, Bingle!«, sagte David und schwenkte die Hand in einer flachen, bodennahen Bewegung. Such die Leiche.
    Der Hund zog im Zickzackmuster los, lief aber nicht mit vollem Tempo, sondern schlug seinen gleichmäßigen, langbeinigen Schritt an. David war nicht weit hinter ihm. Ich folgte dichtauf als Dritte.
    Bingle blieb immer wieder stehen, um an der Luft zu schnuppern. Manchmal lief er ein kurzes Stück zurück, strebte aber fast immer vorwärts. David redete mit ihm und ermunterte ihn, während er sich den Weg über die Wiese bahnte.
    Verblüfft sah ich zu. Diese Suchmethode kam mir völlig falsch vor, zumindest wenn man all den Filmen Glauben schenkte, die ich gesehen hatte und in denen meist Hunde vorkamen, die entflohene Strafgefangene aufspürten. Woher wusste er eigentlich, wonach er suchen musste? Oder wo? Bingle hielt die Schnauze die meiste Zeit hoch in die Luft, nicht unten am Boden. Und er gab nicht Laut. Still zog er im Zickzackkurs durchs Gelände, offenbar froh, an der Arbeit zu sein, aber ohne sich irgendwie anmerken zu lassen, dass er kurz davor stand, etwas zu finden.
    Nach etwa zwanzig Minuten gab David Bingle das Kommando zum Ausruhen und reichte dem Hund etwas Wasser. Als ich sie eingeholt hatte, zog ich mein Notizbuch und den einzigen Gegenstand heraus, den ich speziell für journalistische Arbeiten in der freien Natur eingepackt hatte: einen wasserfesten Kugelschreiber. Ich fragte David nach Bingles Suchmethode aus.
    »Das Lautgeben ist Hollywood in Reinkultur; da wird wohl versucht, eine Fuchsjagd mit der Jagd auf einen Menschen zu verquicken«, sagte er. »Bingle bellt mehr als der durchschnittliche Suchhund, in erster Linie, weil ich es zulasse – manche Hundetrainer betrachten es als Zeichen für eine mangelhafte Ausbildung, einen Suchhund bellen zu lassen. Sie wollen, dass der Hund nur bellt, wenn er einen Vermissten lebend findet. In Bezug auf die Behandlung von Hunden geistern viele Glaubensfragen herum, falls Sie wissen, was ich meine. Wenn man einen hat, der die ganze Zeit bellt, könnte er, na ja, zum Beispiel ein verirrtes Kind verschrecken. Und wenn man mit einem Polizeihund

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