Grabesstille
geschafft! Jetzt haben wir den Scheißkerl!«
»Detective Thompson«, entgegnete Ben kalt. »Hier gibt es nichts zu feiern – in keiner Weise. Wir haben noch keine Ahnung, wer oder was hier begraben liegt, geschweige denn, wer für das Begräbnis verantwortlich ist.«
Thompsons Stimmung ließ sich nicht so ohne weiteres einen Dämpfer versetzen. Obwohl ich ihn nicht mochte, erkannte ich, dass er sich nicht über das Grab eines Opfers freute, sondern über die Aussicht, dass Nicholas Parrish mit der Todesstrafe konfrontiert werden würde.
Parrish, der gewusst haben musste, was dieser neue Fund für seine Chancen bedeutete, dieser Strafe zu entgehen, sah uns mit fast heiterer Miene an. Schließlich blieb sein Blick an mir haften. Er lächelte.
»Bald, mein Herz«, sagte er, »bald.«
Bingles Nackenhaare stellten sich auf, und er begann Parrish anzubellen.
Eine Warnung, die wir hätten beachten sollen.
16
DONNERSTAG MORGEN, 18. MAI
Bergland der südlichen Sierra Nevada
Ben und David begannen bald mit der nächsten Phase ihrer Arbeit, und zwar mit der gleichen minutiösen Sorgfalt, die sie auch an Julia Sayres Grab hatten walten lassen. Duke und Earl entschieden sich für ein kleines Nickerchen, nahmen aber Thompson das Versprechen ab, sie zu wecken, wenn die Wissenschaftler etwas fanden.
Merrick und Manton brachten ihren Gefangenen ein Stück weg vom Grab, wo Thompson ihn zu befragen versuchte, aber Parrish war nicht bereit, etwas über sein Opfer preiszugeben. Das soll aber nicht heißen, dass er geschwiegen hätte.
»Wissen Sie, warum die Kojoten sterben mussten?«, fragte Parrish und starrte mich erneut an.
»Nein, sagen Sie’s mir«, drängte Thompson.
»Weil sie den Frieden gestört haben«, antwortete Parrish, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Und jetzt sehen Sie sich mal Dr. Sheridan und Dr. Niles an. Sind die etwa besser als Kojoten?«
»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Thompson.
»Requiescat in pace.«
»Was soll das heißen?«
»Fragen Sie Ms. Kelly Sie ist mit Latein aufgewachsen – zumindest hat sie es jeden Sonntag gehört.«
Thompson wandte sich an mich.
»Das heißt ›Ruhe in Frieden‹«, erklärte ich. »Das R. I. P. auf alten Grabsteinen.«
»Sehen Sie?«, sagte Parrish. »Kennen Sie die Gewohnheiten von Kojoten, Ms. Kelly?«
Ich gab keine Antwort.
»Sie sind Grabräuber. Sie stehlen Knochen und nagen sie ab.«
»Kojoten sind nicht die einzigen Tiere, die das tun«, meinte Thompson.
»Ich mag keine Kojoten«, erklärte Parrish schmunzelnd.
Ich ging davon und marschierte auf das Grab zu.
Bingle freute sich, mich zu sehen, und David ebenfalls. »Hätten Sie etwas dagegen, wieder auf den Hund aufzupassen?«, fragte er. »Aus irgendeinem Grund ist er besonders nervös.«
Das war mir bereits aufgefallen. Bingle hatte immer wieder abwechselnd versucht, sich näher an David zu drängen, oder sich umgedreht und Parrish wütend angebellt.
»Duke und Earl würden mir wahrscheinlich am liebsten den Hals umdrehen«, meinte David. »Vermutlich sind sie gerade rechtzeitig eingeschlafen, um von seinem Gebell wieder geweckt zu werden. Ich weiß überhaupt nicht, was er hat.«
»Als J. C. und Andy noch hier waren, hat er mehr von Ihrer Aufmerksamkeit bekommen.«
»Er hat auch schon still sitzen müssen, als ich an anderen Fällen gearbeitet habe. Normalerweise führt er sich nicht so auf. Und er reagiert nur selten so auf jemanden wie auf Nick Parrish.«
»Man sollte ihn zum Richter ernennen«, sagte ich.
David lachte. Er zeigte mir, dass sie bereits bei einer Schicht großer Steine angelangt waren und man an manchen Stellen grünes Plastik erkennen konnte. »Wenn dieses Grab nicht von Nick Parrish angelegt wurde, dann hat er einen Nachahmer«, erklärte er.
»David«, mahnte Ben mit leicht genervtem Tonfall. Er war mal wieder besonders übler Laune und hatte die ganze Zeit, während wir am Grab arbeiteten, eine finstere Miene aufgesetzt. Er schalt mich jedoch nicht dafür, dass ich dem Grab zu nahe käme. Vermutlich ein Fortschritt.
Bingle beschloss, Parrish erneut anzubellen.
»Vielleicht sollte ich mit Bingle spazieren gehen«, schlug ich vor. »Ihn eine Weile von Parrish weglotsen. Ich würde jedenfalls gern aus seinem Blickfeld verschwinden.« Und von dem Verwesungsgeruch, dachte ich, doch das sprach ich nicht aus.
»Das wäre prima!«, rief David. Er unterbrach seine Arbeit und ging, um aus der Tasche mit den Hundeutensilien eine Leine zu holen.
»Eine
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