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Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
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Geschehene zu akzeptieren, und dann diese Erwartung – Ben meinte, es sei eine Art öffentlicher Folter gewesen. Ich glaube, er hatte Recht.«
    »Und dieser eine Vorfall lässt ihn sämtliche Reporter über einen Kamm scheren?«
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass es nur ein Einzelfall war. In provisorischen Leichenhallen wurden mit versteckten Kameras Aufnahmen gemacht. Es gab Fehlinformationen über vermisste Personen – Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schmerzhaft das für die Familien der Opfer war!«
    »Falls ich behaupten soll, ich wäre stolz auf jedes Mitglied meiner Zunft –«
    »Nein, nein, natürlich nicht. Ich könnte Ihnen auch von Kollegen aus unserer Branche erzählen, über die wir den Kopf schütteln. Ich versuche nur, Ihnen dabei zu helfen, Ben zu verstehen, glaube ich. Wie gesagt – ich möchte nicht, dass Sie es persönlich nehmen.«
    »Tu ich nicht«, versicherte ich ihm. »Aber langfristig gesehen tut Ihnen Ben keinen Gefallen, wenn er sich so offen feindselig gegen die Presse stellt.«
    »Es steckt mehr dahinter als – na ja, ich sollte wohl nicht so über ihn sprechen, glaube ich. Ich sollte lieber zurückgehen und ihm helfen.«
    »Warten Sie mal, David – bitte.«
    Er sah mich fragend an.
    »Den meisten anderen Männern hier stehe ich mehr oder weniger neutral gegenüber«, sagte ich, »aber Sie und Andy haben sich große Mühe gegeben, freundlich zu mir zu sein. Ich bin Ihnen dankbar für die viele Zeit, die Sie mit mir über Ihre Arbeit gesprochen haben. Wenn Sie mir also sagen, dass ich Ben Sheridan eine zweite Chance geben soll – oder ein Dutzend weitere Chancen –, dann tue ich das.«
    Er lächelte mich an. »Danke. Ben hat mir schon öfter über schwere Zeiten hinweggeholfen. Es fällt mir nicht schwer, Geduld aufzubringen, wenn es ihm nicht gut geht.« Er streichelte ein letztes Mal Bingles Fell und sagte: »Pass gut auf sie auf, Bingle.«
    »Ich passe auch gut auf ihn auf«, sagte ich.
    »Oh, das weiß ich!«, sagte er lachend und ging davon.
     
    Ich ließ mir Zeit bei meinem Spaziergang. Immer mehr Wolken zogen am Himmel auf, und es regnete ein wenig, aber nicht genug, um einen von uns beiden abzuschrecken. Bingle genoss es, sich in Schlammpfützen zu werfen, bevor ich ihn daran hindern konnte, aber sonst folgte er mir brav überallhin, wohin ich mich wandte. Er war neugierig auf alle möglichen Anblicke, Gerüche und Geräusche auf dem Weg, und ich erlaubte ihm, manchen davon nachzuspüren. Aber wenn ich weitergehen wollte, wurde er weder störrisch noch zerrte er an der Leine, sondern legte stets nur die besten Manieren an den Tag.
    Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich auf der Flucht war. Ich wollte wirklich nicht sehen, wie eine zweite grüne Plastikfolie zertrennt wurde und eine zweite verweste Leiche zum Vorschein kam. Und vor allem wollte ich nicht sehen, was womöglich auf dem Boden des Grabs lag.
    Doch wie ich Ben bereits erklärt hatte, hatte ich einen Job zu erledigen, und sämtliche Argumente, die ich mir selbst präsentierte und die untermauern sollten, weshalb meine Anwesenheit an der Fundstelle nicht erforderlich war, kamen mir unaufrichtig vor. Ich bahnte mir den Weg zurück durch den Wald.
    Als wir in Sichtweite der Wiese anlangten, machte ich Halt, nach wie vor nicht bereit, die Stille des Waldes hinter mir zu lassen und mich zu den Männern zu gesellen. Bingle hob die Nase und schnüffelte an der Luft, blieb aber sonst ruhig neben mir sitzen.
    Flash stand neben dem Grab und ließ die Videokamera laufen. Merrick und Manton bewachten immer noch Parrish, aber offenbar waren Duke und Earl von Thompson geweckt worden. Wie David trugen auch die beiden Wachen und der Detective Masken und Handschuhe und knieten am Rand des Grabs. David redete mit ihnen und gab ihnen Anweisungen. Ben Sheridan war nicht dabei.
    Ich wusste, dass ich eigentlich näher hingehen und versuchen sollte, wie eine Reporterin zu denken, dass ich mir die Story besorgen und mir später den Kopf über meine Reaktionen zerbrechen sollte. Wenn Parrish sich selbst treu blieb, würde ich schon bald Fotos des Opfers zu sehen bekommen. Das war das Ausschlaggebende hier, sagte ich mir – herauszufinden, wer in dem Grab lag. Ich sollte mir ein Beispiel an Manton nehmen, der näher herantrat und versuchte, mehr zu erkennen. »Ich zähle bis drei«, hörte ich David sagen.
    Ein unverkennbares Plätschern lenkte mich von den weiteren Vorgängen ab. Ich drehte mich genau in

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