Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabesstille

Grabesstille

Titel: Grabesstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Burke
Vom Netzwerk:
bei John den Kopf für dich hin. Dann verlassen wir eben beide die Zeitung, wenn’s hart auf hart kommt.«
    »Weil es ja zurzeit so viele offene Stellen für Journalisten gibt«, sagte ich.
    »Weil nichts einen solchen Preis wert ist.«
    Ich wusste nichts zu entgegnen.
    »Du willst nicht darüber schreiben, weil du denkst, dass Nick Parrish von Anfang an auf Aufmerksamkeit erpicht war.«
    »Ja.«
    »Irene, du dummes Huhn, dann mach ihn doch zum kleinsten Faktor der ganzen Geschichte.«
    Ich sah zu ihr auf.
    »Du weißt, was Tom Cassidys Team gerade macht?«, fragte sie.
    »CNN und Channel Five von meiner Haustür fern halten.«
    »Ja, genau. Aber du weißt sicher, dass es in jeder Polizeitruppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl gibt, daher hat er auch Krisenberatungsteams eingesetzt, die den Polizisten dabei helfen sollen, mit dem Tod von sechs ihrer Kollegen fertig zu werden.«
    Ich sah zu Frank hinüber, der nickte.
    »Er stellt gerade an der Universität eine zweite Gruppe zusammen«, sagte sie. »Falls einer von Bens und Davids Kollegen oder Doktoranden das Bedürfnis hat, über die Ereignisse zu sprechen.«
    »Woher weißt du denn das alles?«
    »Da hätte ich ja eine schöne Lokalredaktion beisammen, wenn ich das nicht wüsste.«
    »Übrigens, was ist denn eigentlich mit Morry passiert?«
    »Er ist nach Buffalo gezogen. Hat einen Job bei den Buffalo News angenommen.«
    »Was?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Seine Mom lebt in Kenmore – dem Vorort, nicht dem Markennamen.«
    »Er ist ohne zu kündigen abgehauen?«
    Sie lächelte. »Das Einzige, was ich bedaure, ist, dass du nicht da warst und miterlebt hast, wie der gutmütige Morry Wrigley erklärt hat, dass er ihn mal kreuzweise kann.«
    Ich lachte. »Das kann ich mir nicht vorstellen!«
    Sie kreuzte zwei Finger über ihrem Herzen. »Ich schwör’s. Nachdem Wrigley aus dem Raum gestürmt war, habe ich Morry dafür einen Kuss gegeben. Er wurde rot und ist vier Stunden lang immer wieder rot angelaufen, aber er hat die ganze Zeit gegrinst. Wir haben ihm bei Banyon’s einen großen Abschied bereitet.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Schade, dass ich das verpasst habe. Ich hätte mich gern von ihm verabschiedet.«
    »Manchmal kann man sich verabschieden, manchmal nicht. Deshalb muss man nett zu den Leuten sein.«
    Ich schwieg.
    »Nick Parrish bekommt auf jeden Fall seinen Ruhm«, sagte sie. »Selbst wenn der Express seinen Namen nie wieder druckt. Er bekommt ihn durch all die Leute, die ihre Satellitenschüsseln auf euer Hausdach gerichtet haben. Und er bekommt ihn von jeder anderen Zeitung im Land.«
    Ich wusste, dass sie Recht hatte. Nach einem Moment sagte ich: »Er hat mich gejagt. Oder er hat mir vorgespielt, er würde mich jagen.«
    »Deshalb hast du mich wohl auch mit einem Messer und einem Speer empfangen«, sagte Frank.
    Mir wurde klar, dass ich ihm nicht viel von den Ereignissen dort oben erzählt hatte. Er hatte mich nicht nach Einzelheiten gedrängt und hatte vermutlich unzählige Fragen. Selbst wenn er mit den Detectives gesprochen hatte, die mich befragt hatten, bezweifelte ich, dass er angesichts meines damaligen Zustands ein besonders klares Bild gewonnen hatte. Ich beschloss, am Abend ein langes Gespräch mit ihm zu führen, doch zunächst sagte ich nur: »Ich wollte in diesem Moment auf Parrish losgehen. Ich wollte nicht, dass er die Leute umbringt, die mit dem Hubschrauber kamen.«
    »Was?«
    »Mein Denken war da schon ein bisschen chaotisch, aber jetzt glaube ich eigentlich nicht, dass Parrish je vorhatte, mich zu jagen«, sagte ich. »Das war mir damals nicht klar – ich war viel zu daneben, um meine Gedanken zu ordnen. Und jetzt wird es mir schlagartig klar, weißt du – dass es zu einfach war, vor ihm zu fliehen. Wie wenn man noch klein ist und die älteren Kinder einem weismachen, sie wollten Verstecken spielen, aber dann verschwinden sie gemeinsam irgendwohin, während man selbst sich versteckt. Man ist sitzen gelassen worden.«
    »Also wollte Parrish, dass du entkommst«, mutmaßte Lydia.
    »Ja, ich glaube, er wollte, dass ein Reporter überlebt, er wollte, dass jemand in die Welt hinausgeht und seinen legendären Ruf verkündet. Weißt du – die Geschichte aus der Sicht von jemandem schildert, der seine Macht fürchten gelernt hat.«
    War das alles, was dahinter steckte? Ich wollte, dass es stimmte, aber ich nahm mir meine Story selbst nicht ab. Er hatte gesagt, er würde mich wieder finden. Julia Sayre und Kara Lane hatten beide

Weitere Kostenlose Bücher