Grabesstille
antwortete: »Ben. Sie mussten amputieren.«
»Nein … o Gott, nein.«
»Sie haben gesagt, er hätte die Operation gut überstanden.«
»Ich will von der Scheiß-Operation nichts hören!«, schrie ich.
Er legte die Arme um mich, was die Tränen erneut zum Fließen brachte. Er ließ mich heftig und laut weinen und hörte mir zu, wie ich Gott beschimpfte – und mich selbst.
»Ich habe es nicht gewusst«, sagte ich. »Ich habe nicht gewusst, was ich tun soll, wie ich ihm helfen kann –«
»Du hast ihm das Leben gerettet.«
Ich fragte mich, ob mir Ben dafür im Moment besonders dankbar war. Laut sagte ich: »Ich muss ihn sehen.«
»Er schläft. Wahrscheinlich darf er erst morgen Besuch bekommen.«
Unglücklich lehnte ich mich ins Kissen zurück. Frank begann mir von Cody und den Hunden und alltäglichen Dingen zu erzählen, und ich beruhigte mich. Die Erschöpfung kam erneut über mich. »Lass mich nicht allein hier drin«, murmelte ich schläfrig.
Er machte das Deckenlicht aus, streckte sich auf dem anderen Bett aus und redete noch anderthalb Minuten mit mir, bevor er einschlief – zu weit weg von mir, aber alles andere nahm ich ihm nicht übel.
In den nächsten zwei Stunden trieb ich hin und her über die Grenzen des Schlafs. Ich träumte, in blutigen Stiefeln zu marschieren, als das Telefon klingelte. Frank wachte auf und war schon auf den Beinen und an meinem Bett, bevor ich das Licht angeschaltet und das richtige Ende des Hörers gefunden hatte.
»Irene? Hier ist Gillian.«
»Hallo, Gillian«, sagte ich um einen harten Kloß in meinem Hals herum.
»Habe ich Sie geweckt?«
»Nein, nein, ist schon gut.« Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich als Nächstes sagen sollte.
»Ich wollte fragen, ob ich Sie sprechen könnte – nicht heute Abend, aber vielleicht morgen? Sind Sie dann noch dort?«
»Nein, da bin ich nicht mehr hier. Ich gehe bald nach Hause«, erwiderte ich, da ich auf einmal wusste, dass ich nicht imstande wäre, die Nacht in diesem Krankenhausbett zu verbringen, sondern eine vertraute Umgebung brauchte. »Aber ich gehe morgen Nachmittag in die Redaktion. Möchten Sie mich dort treffen?«
»Klar. Welche Uhrzeit?«
»Gegen vier?«
»Okay«
Das Schweigen zog sich in die Länge, und ich sagte: »Es tut mir Leid, Gillian.«
»Schon gut«, sagte sie, obwohl sie nicht danach klang. »Danke, dass Sie da raufgegangen sind. Ich – ich habe in den Nachrichten gehört, was passiert ist. Ist der Mann – Ben Sheridan, heißt er so?«
»Ja.« Der Kloß gefror zu einer harten Masse.
»Wird er wieder gesund?«
Nein, wird er nicht. Aber ich dachte daran, dass ihr vierjähriges Warten in dieser Weise geendet hatte, und antwortete: »Ja, er wird wieder gesund.«
Nach weiterem Schweigen sagte sie: »Tja, dann also bis morgen.«
Ich hatte sämtliche Papiere für meine Entlassung unterschrieben und zog gerade ein paar frische Kleider an, die Travis aufmerksamerweise vorbeigebracht hatte, als mir etwas einfiel. Ich holte meine Landkarten heraus und zeigte Frank, wo die allzu saubere Höhle lag. »Es könnte auch nichts sein«, sagte ich, aber irgendwie beruhigte mich der Akt, ihm diese Information zu geben, ein wenig.
Er dankte mir und sagte dann: »Ich habe mit einer Krankenschwester gesprochen, während du die Formulare ausgefüllt hast. Ich habe angenommen, dass du wohl kaum von hier verschwinden wirst, ohne nach Ben gesehen zu haben. Er schläft, aber sie hat gesagt, wenn du es kurz machst und versprichst, ihn nicht aufzuschrecken, dann wäre es okay.«
Ich sah zu ihm auf und fragte mich, wie es möglich war, dass er so oft vorauszuahnen schien, was für Bedürfnisse ich haben könnte.
»Du hast ihn in den Bergen nicht im Stich gelassen«, erklärte er. »Und wir lassen ihn auch jetzt nicht im Stich.«
»Danke«, sagte ich. Als ich mir einigermaßen sicher war, dass ich wieder sprechen konnte, ohne zu weinen, fügte ich hinzu: »Wo möchtest du denn unseren hundertsten Hochzeitstag feiern?«
Meinen ersten Schock bekam ich, als ich statt der erwarteten flachen Stelle unter der Decke etwas sah, das sich wie zwei Füße am Fußende von Bens Bett ausnahm. »Eine provisorische Prothese«, flüsterte die Schwester, die meinen Blick verstanden hatte.
Ich merkte, dass das Einzige, was mir im Moment etwas bedeutete, die Tatsache war, dass er noch lebte, dass er friedlich schlief, dass sein Gesicht nicht vor Schmerz verzerrt war, dass er in Sicherheit und in fähigeren Händen als
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