Grabkammer
die Miete.«
»Und halten Sie weiter Ausschau nach diesen Schlüsseln, ja?
Man muss so vorsichtig sein heutzutage, und gerade so ein hübsches junges Mädel wie Sie, das ganz allein lebt. Wäre gar nicht gut, wenn Ihre Schlüssel in die falschen Hände geraten würden.«
Sie verließ fluchtartig seine Wohnung und begann, die Treppe hinaufzusteigen.
»Augenblick noch!«, rief er ihr nach. »Da ist noch etwas. Fast hätte ich vergessen, Sie zu fragen. Kennen Sie jemanden namens Josephine Sommer?«
Sie erstarrte in der Bewegung, den Stapel Post fest an die Brust gedrückt, ihr Rücken steif wie ein Brett. Ganz langsam drehte sie sich zu ihm um. »Was haben Sie gesagt?«
»Der Postbote hat mich gefragt, ob Sie das sein könnten, aber ich habe ihm gesagt, nein, die junge Dame heißt Pulcillo.«
»Warum … warum hat er Sie das gefragt?«
»Weil da ein Brief gekommen ist mit Ihrer Wohnungsnummer, aber als Nachname steht da Sommer und nicht Pulcillo. Er meinte, es wäre vielleicht Ihr Mädchenname oder so. Ich habe ihm gesagt, dass Sie meines Wissens ledig sind. Aber es ist trotzdem Ihre Wohnungsnummer, und so viele Josephines gibt es ja auch wieder nicht, also habe ich mir gedacht, er muss wohl für Sie sein. Deshalb habe ich ihn angenommen und zu Ihrer Post getan.«
Sie schluckte. »Danke«, murmelte sie. »Dann sind Sie das also?«
Sie erwiderte nichts, sondern ging einfach weiter die Treppe hinauf, obwohl sie wusste, dass er sie beobachtete und auf eine Antwort wartete. Ehe er ihr noch eine Frage hinterherrufen konnte, schlüpfte sie rasch in ihr Apartment und schloss die Tür hinter sich.
Sie hielt den Stapel Post so fest umklammert, dass sie spürte, wie ihr Herz dagegenschlug. Sofort riss sie das Gummiband herunter und lud die Post auf dem Couchtisch ab. Briefe und Hochglanzkataloge ergossen sich über die Tischplatte. Sie schob das Paket von 1.1. Bean zur Seite und wühlte den Berg Post durch, bis sie einen Umschlag entdeckte, der an Josephine Sommer adressiert war. Die Handschrift war ihr unbekannt.
Der Brief war in Boston abgestempelt, doch der Absender fehlte.
Irgendjemand in Boston kennt diesen Namen. Was weiß dieser Jemand noch über mich?
Lange Zeit saß sie da, ohne den Brief zu öffnen. Sie hatte Angst vor dem, was sie darin lesen würde. Angst davor, dass es ihr ganzes Leben verändern würde, wenn sie den Brief öffnete.
Nur noch wenige Augenblicke waren ihr gegönnt, in denen sie Josephine Pulcillo sein konnte, die stille junge Frau, die nie über ihre Vergangenheit sprach. Die unterbezahlte Archäologin, die sich damit zufrieden gab, versteckt in einem Hinterzimmer des Crispin Museums zu sitzen, wo sie mit alten Papyrusfetzen und Leinenstücken herumhantierte.
Ich bin vorsichtig gewesen, dachte sie. Ich habe so darauf geachtet, nicht aufzufallen und mich nur auf meine Arbeit zu konzentrieren, aber irgendwie hat die Vergangenheit mich eingeholt.
Endlich atmete sie tief durch und riss das Kuvert auf. Ein Zettel steckte darin, und darauf standen nur sechs Worte, geschrieben in Blockbuchstaben. Worte, die ihr sagten, was sie ohnehin schon wusste.
DIE POLIZEI IST NICHT DEIN FREUND.
Die Frau an der Kasse des Crispin Museum sah so alt aus, dass man sie selbst in einer Vitrine hätte ausstellen können – ein grauhaariges, zwergenhaftes Geschöpf, gerade groß genug, um über den Empfangstresen hinwegsehen zu können. »Es tut mir leid«, sagte sie, »aber wir öffnen erst um zehn Uhr. Wenn Sie in sieben Minuten wiederkommen, verkaufe ich Ihnen die Eintrittskarten.«
»Wir sind nicht gekommen, um das Museum zu besichtigen«, sagte Jane. »Wir sind vom Boston PD. Ich bin Detective Rizzoli, und das ist Detective Frost. Mr. Crispin erwartet uns.«
»Darüber bin ich nicht informiert.«
»Ist er nicht da?«
»Doch. Er und Miss Duke sind oben in einer Besprechung«, antwortete die Frau, wobei sie ganz deutlich Miss und nicht Ms. sagte, wie um zu betonen, dass in diesem Gebäude noch die altmodischen Umgangsformen galten. Sie kam hinter dem Tresen hervor, und Jane sah, dass sie einen Wollrock mit Schottenkaro und riesige orthopädische Schuhe trug. An ihrer weißen Baumwollbluse steckte ein Namensschild: Mrs. Willebrandt, Museumsführerin. »Ich bringe Sie in sein Büro. Aber zuerst muss ich noch die Kasse abschließen. Wir erwarten heute einen großen Besucherandrang, und ich möchte sie nicht unbeaufsichtigt lassen.«
»Oh, wir finden den Weg zu seinem Büro schon«, erwiderte
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