Grabkammer
Frost. »Wenn Sie uns nur sagen würden, wo es ist.«
»Ich möchte nicht, dass Sie sich verlaufen.«
Frost schenkte ihr sein charmantestes Lächeln, das seine Wirkung auf ältere Damen selten verfehlte. »Ich war bei den Pfadfindern, Ma’am. Ich werde mich nicht verlaufen, das verspreche ich Ihnen.«
Doch an Mrs. Willebrandt prallte sein Charme ab. Sie beäugte ihn skeptisch durch ihre Brille mit Stahlgestell. »Es ist im zweiten Stock«, sagte sie schließlich. »Sie können den Aufzug nehmen, aber er ist sehr langsam.« Sie deutete auf einen schwarzen Gitterkäfig, der eher an ein mittelalterliches Folterinstrument als an einen Fahrstuhl erinnerte.
»Wir nehmen die Treppe«, sagte Jane.
»Dann gehen Sie immer geradeaus, durch den großen Saal.«
Immer geradeaus war allerdings eine Richtungsangabe, die sich in diesem Gebäude schwerlich befolgen ließ. Als Jane und Frost den Ausstellungsraum im Erdgeschoss betraten, standen sie vor einem Labyrinth aus Vitrinen. Die erste, auf die sie stießen, enthielt die lebensgroße Wachsfigur eines Gentlemans aus dem 19. Jahrhundert, bekleidet mit einem feinen Wollanzug und einer Weste. In einer Hand hielt er einen Kompass, in der anderen eine vergilbte Landkarte. Obwohl er ihnen das Gesicht zuwandte, blickten seine Augen durch die Scheibe an ihnen vorbei, zu irgendeinem fernen, erhabenen Ziel, das nur er selbst sehen konnte.
Frost beugte sich vor und las die Tafel zu Füßen des Herrn aus Wachs. »Dr. Cornelius Crispin, Forschungsreisender und Gelehrter, 1830 bis 1912. Die Schätze, die er von seinen Weltreisen mitbrachte, bildeten den Grundstock für die Sammlung des Crispin Museums.« Er richtete sich auf. »Wow. Stell dir mal vor, du gibst das als deinen Beruf an. Forschungsreisender.«
»Ich glaube, reicher Typ würde es eher treffen.« Jane ging weiter zum nächsten Schaukasten, wo Goldmünzen im Schein der Spots glitzerten. »He, sieh mal. Hier steht, dass die aus dem Reich des Krösus stammen.«
»Na, wenn einer reich war, dann der.«
»Du meinst, Krösus hat wirklich gelebt? Ich dachte immer, das wäre so eine Art Sage.«
Sie gingen weiter zur nächsten Vitrine, die mit Töpferwaren und Tonfiguren angefüllt war. »Cool«, meinte Frost. »Die stammen aus der Sumererzeit. Also, diese Sachen hier sind ja so richtig alt. Wenn Alice wieder da ist, gehe ich mal mit ihr hierher. Dieses Museum wird ihr bestimmt gefallen. Komisch, dass ich vorher noch nie davon gehört hatte.«
»Inzwischen kennt es jeder. Nichts geht über einen kleinen Mord, wenn man seinen Laden bekannt machen will.«
Sie drangen tiefer in den Irrgarten aus Vitrinen ein, schlenderten vorbei an griechischen und römischen Marmorbüsten, an rostigen Schwertern und glitzernden Juwelen, während der alte Holzfußboden unter ihren Schritten knarrte. So viele Schaukästen hatte man in diesen einen Saal gepackt, dass nur ganz schmale Durchgänge dazwischen geblieben waren, und nach jeder Biegung erwartete die Besucher eine neue Überraschung, ein weiteres Kleinod, das ihre Aufmerksamkeit erheischte.
Endlich gelangten sie in einen offenen Bereich in der Nähe des Treppenhauses. Frost begann, die Stufen zum ersten Stock hinaufzusteigen, doch Jane folgte ihm nicht. Stattdessen wurde sie von einem schmalen Durchgang mit einem Rahmen aus Steinimitat angezogen.
»Rizzoli?«, rief Frost und sah sich um.
»Warte mal einen Moment«, sagte sie, während sie zu der verführerischen Einladung aufblickte, die auf dem Türsturz prangte: Komm und tritt ein ins Reich der Pharaonen.
Sie konnte nicht widerstehen.
Als sie hindurchging, fand sie sich in einem Raum, der so schwach beleuchtet war, dass sie einen Moment warten musste, bis ihre Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Nach und nach kam ein Raum voller Wunderdinge zum Vorschein.
»Wow!«, flüsterte Frost, der ihr gefolgt war.
Sie standen in einer ägyptischen Grabkammer, deren Wände mit Hieroglyphen und Malereien bedeckt waren. Davor waren Grabbeigaben ausgestellt, die von diskret platzierten Spots in ein geheimnisvolles Licht getaucht wurden. Jane sah einen Sarkophag, dessen leere Höhlung nur auf denjenigen zu warten schien, der hier seine ewige Ruhe finden würde. Vom Deckel eines steinernen Kanopengefäßes grinste sie ein gemeißelter Schakalkopf an. Mumienmasken mit aufgemalten Gesichtern, deren dunkle Augen unheimlich starrten, hingen an der Wand.
In einer Vitrine lag eine Papyrusrolle mit einer Passage aus dem Totenbuch.
An der
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