Grabkammer
schließlich ein sehr altes Gebäude.«
»Wie alt?«
»Mindestens hundertfünfzig Jahre. Das hat uns ein Klempner erzählt, der hier war, um die Toiletten zu renovieren. Das war nämlich früher das Wohnhaus der Familie.«
»Der Crispins?«
»Ja. Mitte des 19. Jahrhunderts haben sie hier gewohnt, bis die Familie in ihr neues Haus in Brookline zog. Seitdem ist in diesem Gebäude das Museum untergebracht.«
»In welche Richtung liegt diese Wand?«, fragte Frost.
Robinson dachte kurz nach. »Das müsste die Straßenseite sein, wenn ich mich nicht irre.«
»Das heißt, dahinter ist kein anderes Gebäude?«
»Nein, nur die Straße.«
»Ziehen wir doch ein paar von den Ziegeln heraus«, schlug Jane vor, »und sehen wir nach, was auf der anderen Seite ist.«
Robinson reagierte alarmiert. »Wenn sie hier anfangen, Steine herauszuziehen, könnte das ganze Haus einstürzen.«
»Aber das hier ist ganz offensichtlich keine tragende Wand«, meinte Tripp, »sonst hätte sie schon längst nachgegeben.«
»Ich möchte, dass Sie alle auf der Stelle damit aufhören«, sagte Robinson. »Bevor Sie weitermachen, muss ich mit Simon sprechen.«
»Warum rufen Sie ihn nicht gleich an?«, schlug Jane vor. Während der Kurator hinausging, verharrten die vier Detectives schweigend und regungslos, bis die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Kaum war er außer Hörweite, wandte Jane ihre Aufmerksamkeit wieder der Wand zu. »Die unteren Ziegel sind nicht einmal vermörtelt. Sie sind nur lose aufeinander gelegt. »
»Und was hält dann den oberen Teil der Mauer?«, fragte Frost.
Vorsichtig zog Jane einen der losen Ziegel heraus, wobei sie halb damit rechnete, dass der Rest nachkommen würde. Doch die Wand hielt. Sie drehte sich zu Tripp um. »Was denkst du?«
»Da muss auf der anderen Seite eine Strebe sein, die das obere Drittel zusammenhält.«
»Dann müsste man die unteren Ziegel eigentlich gefahrlos herausnehmen können, oder?«
»Eigentlich schon. Denke ich mal.«
Sie lachte nervös. »Das klingt ja wirklich sehr beruhigend, Tripp.« Unter den interessierten Blicken der drei Männer löste sie behutsam einen weiteren Ziegel aus der Wand, und dann noch einen. Ihr fiel auf, dass ihre Kollegen ein paar Schritte zurückgewichen waren und sie allein am Fuß der Wand stehen ließen. Obwohl inzwischen ein großes Loch in der Wand klaffte, hielt die Konstruktion stand. Sie spähte hindurch und sah nur pechschwarze Finsternis.
»Gib mir mal deine Lampe, Crowe.« Er reichte sie ihr.
Jane kniete sich vor die Öffnung und leuchtete hinein. In ein paar Metern Entfernung konnte sie die raue Oberfläche der gegenüberliegenden Wand ausmachen. Langsam ließ sie den Strahl darübergleiten und hielt plötzlich inne, als sie eine in den Stein gehauene Nische erblickte. Aus der Dunkelheit starrte ein Gesicht sie an.
Sie wich taumelnd zurück und rang nach Luft.
»Was ist?«, rief Frost. »Was hast du da drin gesehen?«
Im ersten Moment brachte Jane kein Wort heraus. Mit pochendem Herzen starrte sie das Loch in der Mauer an, ein Fenster zu einer dunklen Kammer, die sie am liebsten nicht zu genau erforscht hätte. Nicht nach dem, was sie gerade dort im Halbdunkel erspäht hatte.
»Rizzoli?«
Sie schluckte. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir die Rechtsmedizin einschalten.«
Es war nicht Mauras erster Besuch im Crispin Museum.
Vor ein paar Jahren, kurz nachdem sie sich in Boston niedergelassen hatte, war sie in einem Führer mit Sehenswürdigkeiten der Region auf das Museum gestoßen. An einem kalten Sonntag im Januar hatte sie ihm schließlich einen Besuch abgestattet, wobei sie fest damit rechnete, sich durch die üblichen Scharen von Wochenendtouristen kämpfen zu müssen, mit den üblichen gestressten Eltern, die ihre gelangweilten Kinder hinter sich her zerrten. Stattdessen betrat sie ein totenstilles Gebäude, und die einzige lebende Seele, die sie antraf, war eine ältere Dame am Empfang, die das Eintrittsgeld kassierte und Maura anschließend ignorierte. Mutterseelenallein war Maura durch die düsteren Ausstellungsräume geschlendert, vorbei an staubigen Vitrinen mit Kuriositäten aus aller Welt, mit vergilbten Etiketten, die aussahen, als wären sie seit hundert Jahren nicht mehr ausgewechselt worden. Der überforderte Heizkessel konnte die Kälte aus den Mauern nicht vertreiben, und Maura hatte während des gesamten Besuchs ihren Mantel anbehalten.
Zwei Stunden später hatte sie das Museum wieder verlassen, und das
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