Grabkammer
natürlich.«
Er ging zum Schrank, um ein Paar Handschuhe zu holen, die er so sorgfältig überstreifte wie ein Chirurg, der eine komplizierte Operation in Angriff nimmt. Dieser Mann würde in jedem Beruf mit äußerster Sorgfalt arbeiten, dachte Maura. Sie konnte sich an keinen Kommilitonen aus dem Medizinstudium erinnern, der ähnlich penibel gewesen wäre wie Nicholas Robinson.
»Als Erstes«, sagte er, »sollte ich erklären, was eine echte Jivaro-Tsantsa ausmacht. Das war eines meiner Spezialgebiete, deshalb weiß ich einiges darüber. Das Volk der Jivaro lebt im Grenzgebiet von Ecuador und Peru, und jeder Stamm überfällt regelmäßig seine Nachbarn. Früher nahmen die Krieger die Köpfe ihrer Opfer als Trophäen – ganz gleich, ob Männer, Frauen oder Kinder.«
»Warum ausgerechnet die Köpfe?«, fragte Jane.
»Das hat mit ihrem Konzept der Seele zu tun. Es gibt eine wahre Seele, die jeder Mensch von Geburt an besitzt. Dann gibt es eine zweite Seele, die man sich durch Zeremonien und Rituale erst erwerben muss. Sie verleiht einem besondere Kräfte. Wenn jemand sich eine solche Seele erworben hat und dann ermordet wird, verwandelt er sich in die dritte Art – eine Rächerseele, die ihren Mörder verfolgen wird. Die einzige Möglichkeit, eine Rächerseele daran zu hindern, Vergeltung zu üben, besteht darin, den Kopf des Ermordeten abzuschneiden und daraus eine Tsantsa zu machen.«
»Und wie macht man eine Tsantsa?« Jane blickte auf die drei puppengroßen Köpfe. »Ich verstehe einfach nicht, wie man einen Menschenkopf auf diese Größe schrumpfen kann.«
»Die Beschreibungen des Prozesses sind widersprüchlich, aber die meisten Berichte stimmen in einigen wesentlichen Schritten überein. Wegen des tropischen Klimas musste der Prozess unmittelbar nach dem Tod eingeleitet werden. Man nimmt den abgetrennten Kopf und schneidet die Kopfhaut in einer geraden Linie vom Scheitel bis zum Halsansatz auf. Dann zieht man die Haut vom Knochen ab. Sie lässt sich relativ leicht ablösen.«
Maura sah Jane an. »So etwas Ähnliches hast du schon oft gesehen, wenn ich eine Leiche obduziere. Ich ziehe die Kopfhaut vom Schädel ab. Aber bei mir geht der Schnitt quer über den Scheitel, von Ohr zu Ohr.«
»Genau, und das ist die Stelle, wo mir immer ganz anders wird«, meinte Jane. »Besonders, wenn du sie dann über das Gesicht ziehst.«
»O ja – das Gesicht«, sagte Robinson. »Die Jivaro zogen es ebenfalls ab. Es erfordert einiges Geschick, aber das Gesicht lässt sich zusammen mit der Kopfhaut in einem Stück ablösen.
Was man dann hat ist quasi eine Maske aus Menschenhaut. Sie wird gewendet und gründlich gereinigt. Dann werden die Augenlider zugenäht.« Er nahm eine der Tsantsas hoch und deutete auf die nahezu unsichtbaren Stiche. »Sehen Sie, wie sorgfältig er gearbeitet ist, sodass die Wimpern vollkommen natürlich wirken? Das ist wirklich eine hervorragende Arbeit.«
Lag da ein Anflug von Bewunderung in seiner Stimme?, fragte sich Maura. Robinson schien die unbehaglichen Blicke nicht zu bemerken, die zwischen Maura und Jane hin und her gingen, so vollkommen war er von dieser handwerklichen Meisterleistung in Anspruch genommen, durch die Menschenhaut in eine archäologische Kuriosität verwandelt worden war.
Er drehte die Tsantsa um und inspizierte den Hals, der nichts als ein ledriger Schlauch war. Grobe Stiche zogen sich vom Genick über den Hinterkopf, wo sie vom dichten Haar fast verdeckt wurden. »Nachdem die Haut vom Schädel abgezogen wurde«, fuhr er fort, »wird sie in Wasser und Pflanzensäften gekocht, um die letzten Fettreste abzulösen. Wenn alles Fleisch und Fett vollständig abgeschabt ist, wird die Haut wieder mit der Haarseite nach außen gewendet, und der Schnitt am Hinterkopf wird zugenäht, wie Sie hier sehen können. Die Lippen werden mithilfe dreier angespitzter Holzpflöcke verschlossen, Nasenlöcher und Ohren mit Baumwolle verstopft. In diesem Stadium ist der Kopf nur ein schlaffer Hautsack, also füllt man ihn mit heißen Steinen und Sand aus, um die Haut auszudörren.
Der Kopf wird dann mit Holzkohle eingerieben und geräuchert, bis die Haut so zusammenschrumpft, dass sie die Konsistenz von Leder bekommt. Der ganze Prozess dauert nicht allzu lange – wahrscheinlich kaum länger als eine Woche.«
»Und was haben sie dann damit gemacht?«, fragte Jane. »Sie kehrten mit ihren konservierten Trophäen zu ihrem Stamm zurück und feierten ein Fest mit rituellen Tänzen. Dabei
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