Grabkammer
und zugleich erleichtert, obwohl sich an ihrer Situation kaum etwas verändert hatte. Der einzige Unterschied war, dass sie sich nun nicht mehr allein fühlte.
Gemma starrte sie betroffen an. »Eine Leiche in deinem Kofferraum? Und dieses kleine Detail mit den anonymen Botschaften, die du per Post bekommen hast, das hast du einfach verschwiegen? Du hast der Polizei nichts davon gesagt?«
»Wie konnte ich? Wenn sie von den Briefen erfahren hätten, dann hätten sie alles andere auch herausgefunden.«
»Vielleicht wird es Zeit, Josie«, sagte Gemma leise. »Zeit, aus deinem Versteck hervorzukommen und einfach die Wahrheit zu sagen.«
»Das kann ich meiner Mutter nicht antun. Ich kann sie da nicht hineinziehen. Ich bin nur froh, dass sie nicht hier ist.«
»Sie wäre sicher gerne hier. Du bist es, die sie immer zu beschützen versucht hat.«
»Aber jetzt kann sie mich nun mal nicht beschützen. Und sie sollte es auch nicht tun müssen.« Josephine stand auf und trug ihre Tasse zur Spüle. »Das hat nichts mit ihr zu tun.«
»Wirklich nicht?«
»Sie ist nie in Boston gewesen. Sie hatte nie irgendetwas mit dem Crispin Museum zu tun.« Josephine wandte sich zu Gemma um. »Oder?«
Gemma schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, warum das Museum Exponate haben sollte, die so eindeutig auf sie verweisen. Die Kartusche, die Zeitung.«
»Es könnte ein Zufall sein.«
»Das wäre ein allzu großer Zufall.« Gemma legte die Hände um ihre Teetasse, als ob sie plötzlich fröre. »Was ist mit der Leiche in deinem Auto? Was unternimmt die Polizei?«
»Was in einem Mordfall von ihr erwartet wird: Sie ermittelt. Sie haben mir all die Fragen gestellt, mit denen zu rechnen war. Wer könnte mir nachstellen? Habe ich irgendwelche perversen Verehrer? Gibt es in meiner Vergangenheit irgendjemanden, vor dem ich mich fürchte? Wenn sie immer weiter Fragen stellen, werden sie unweigerlich irgendwann dahinter kommen, wer Josephine Pulcillo wirklich ist.«
»Vielleicht machen sie sich aber auch nicht die Mühe, in diese Richtung nachzuforschen. Sie haben schließlich eine Reihe von Morden aufzuklären, und du bist nicht die Person, an der sie interessiert sind.«
»Dieses Risiko konnte ich nicht eingehen. Deswegen bin ich davongelaufen. Ich habe meine Sachen gepackt und einen Job und eine Stadt aufgegeben, die ich geliebt habe. Ich war dort glücklich, Gemma. Es ist ein seltsames kleines Museum, aber die Arbeit dort hat mir Spaß gemacht.«
»Und die Leute? Ist es denkbar, dass jemand vom Museum mit der Sache zu tun hat?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Manchmal kann man es sich eben nicht vorstellen.«
»Sie sind alle vollkommen harmlos. Der Kurator, der Direktor – sie sind beide so gütig und liebenswürdig.« Sie lachte betrübt. »Ich frage mich, was sie jetzt von mir denken. Wenn sie herausfinden, wen sie da eigentlich eingestellt haben.«
»Sie haben eine hochbegabte junge Archäologin eingestellt.
Eine Frau, die ein besseres Leben verdient hat.«
»Tja, das ist nun mal das Leben, das ich führe.« Sie drehte sich zum Wasserhahn um und begann, ihre Tasse zu spülen.
Alles war noch am gewohnten Platz, und sie fand die Geschirrtücher im selben Schrank, die Löffel in derselben Schublade.
Gemmas Küche war wie eine gut organisierte archäologische Grabungsstätte – eine häusliche Szene, für die Ewigkeit konserviert. Welch ein Luxus, Wurzeln zu haben, dachte Josephine, als sie die saubere Tasse ins Regal zurückstellte. Wie es wohl wäre, ein eigenes Heim zu haben, sich ein eigenes Leben aufzubauen, das sie nie mehr würde aufgeben müssen?
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte Gemma. »Das weiß ich nicht.«
»Du könntest nach Mexiko zurückgehen. Das würde sie sich wünschen.«
»Ich werde einfach von vorn anfangen müssen.« Der Gedanke ließ Josephine plötzlich kraftlos gegen die Arbeitsplatte sinken.
»Mein Gott, ich habe zwölf Jahre meines Lebens verloren.«
»Das muss nicht sein. Vielleicht geht die Polizei der Sache ja nicht weiter nach.«
»Darauf kann ich mich nicht verlassen.«
»Warte einfach ab, was passiert. Dieses Haus wird den größten Teil des Sommers leer stehen. Ich muss in zwei Wochen wieder zurück nach Peru, um die Grabung zu beaufsichtigen.
Du kannst gerne hier bleiben, so lange du willst.«
»Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Schwierigkeiten?« Gemma schüttelte den Kopf. »Du hast ja keine Ahnung, aus was für Schwierigkeiten deine
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