Grabkammer
Mutter mich gerettet hat. Und außerdem glaube ich immer noch nicht, dass die Polizei ganz so schlau ist, wie du meinst. Oder so gründlich. Denk doch nur daran, wie viele Fälle nie aufgeklärt werden; wie oft wir in den Nachrichten von Ermittlungsirrtümern hören.«
»Du kennst Detective Rizzoli nicht.«
»Was ist mit ihm?«
»Es ist eine Sie. Die Art, wie sie mich anschaut, die Fragen, die sie stellt…«
»Eine Frau?« Gemmas Braue schnellte hoch. »Oh, das ist gar nicht gut.«
»Wieso?«
»Männer lassen sich so leicht durch ein hübsches Gesicht ablenken.«
»Wenn Detective Rizzoli der Sache auf den Grund geht, wird sie irgendwann hier aufkreuzen. Und dich befragen.«
»Sollen sie doch kommen. Was wollen sie hier schon in Erfahrung bringen?« Gemma wies auf ihre Küche. »Sieh dich doch um! Sie werden hier reinkommen, werden meine Sammlung von Kräutertees sehen und mich als eine harmlose alte Hippiefrau abtun, von der sie unmöglich irgendetwas Brauchbares erfahren können. Wenn du als Frau erst mal die fünfzig voll hast, schaut dich kein Mensch mehr richtig an, und erst recht legt niemand Wert auf deine Meinung. Das ist nicht leicht zu ertragen für das liebe Ego. Aber was soll’s? Dafür kann man sich auch eine ganze Menge erlauben.«
Josephine lachte. »Dann muss ich also nur warten, bis ich fünfzig bin, und schon bin ich aus dem Schneider?«
»Vielleicht bist du ja schon aus dem Schneider, was die Polizei betrifft.«
Josephine erwiderte leise: »Es ist nicht nur die Polizei, die mir Angst macht. Nicht mehr, seit ich diese Botschaften bekommen habe. Nicht mehr, seit ich dieses Ding in meinem Auto gefunden habe.«
»Du hast recht«, pflichtete Gemma ihr bei. »Es gibt Schlimmeres, vor dem man Angst haben muss.« Sie hielt inne und sah Josephine über den Tisch hinweg an. »Und warum bist du dann noch am Leben?«
Die Frage schockierte Josephine. »Du denkst, ich müsste schon tot sein.«
»Warum sollte irgend ein Spinner seine Zeit damit vergeuden, dir rätselhafte Briefchen zu schicken? Oder dir groteske Geschenke ins Auto zu legen? Wieso bringt er dich nicht gleich um?«
»Vielleicht, weil die Polizei mit im Spiel ist? Seit dem CT von Madam X wimmelt es im Museum von Polizisten.«
»Mich macht noch etwas anderes stutzig. Wer eine Leiche in deinen Kofferraum praktiziert, legt es doch offenbar darauf an, die Aufmerksamkeit auf dich zu lenken. Die Polizei beobachtet dich jetzt. Eine seltsame Vorgehensweise für jemanden, der deinen Tod will.«
Die Aussage war typisch für Gemma: sachlich und von brutaler Direktheit. Jemand, der deinen Tod will. Aber ich bin schon tot, dachte sie. Vor zwölf Jahren ist das Mädchen, das ich einmal war, vom Erdboden verschwunden. Und Josephine Pulcillo wurde geboren.
»Sie würde nicht wollen, dass du das alles allein durchstehen musst, Josie. Rufen wir sie doch an.«
»Nein. Es ist sicherer für alle, wenn wir es nicht tun.
Wenn sie mich beobachten, werden sie genau auf so etwas warten.« Sie holte tief Luft. »Ich habe mich seit dem College allein durchgeschlagen, und ich komme auch mit dieser Geschichte klar. Ich brauche nur ein bisschen Zeit zum Verschnaufen. Bevor ich einen Wurfpfeil auf die Landkarte werfe und entscheide, wo ich als Nächstes hingehe.« Sie machte eine Pause. »Und ein bisschen Bargeld brauche ich wohl auch.«
»Auf dem Konto sind noch rund fünfundzwanzigtausend Dollar. Die haben die ganze Zeit für dich dort bereitgelegen. Für schlechte Zeiten.«
»Ich denke, diese Voraussetzung ist jetzt erfüllt.« Josephine stand auf, um hinauszugehen. An der Küchentür blieb sie stehen und drehte sich um. »Danke für alles, was du getan hast.
Für mich. Und für meine Mutter.«
»Ich bin es ihr schuldig, Josie.« Gemma sah auf ihre mit Brandnarben übersäten Arme. »Nur dank Medea bin ich überhaupt noch am Leben.«
Am Samstagabend kam Daniel endlich zu ihr.
In letzter Minute, kurz bevor er eintraf, fuhr Maura noch rasch zum Feinkostladen um die Ecke, wo sie Kalamata-Oliven, französische Käse und einen viel zu exklusiven Wein kaufte. Das ist meine Art, meinen Geliebten zu umwerben, dachte sie, als sie ihre Kreditkarte zückte. Mit Lächeln, Küssen und Pinot Noir. Ich werde ihn mit perfekten Abenden gewinnen, die er nie vergessen wird, nach denen es ihn immer wieder aufs Neue verlangen wird. Und eines Tages wird er vielleicht seine Wahl treffen. Er wird mich wählen.
Als sie nach Hause kam, wartete er schon auf sie.
Sie sah
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