Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
umfangreichen Bericht der Spurensicherung analysiert. Von der trockenen Heizungsluft hatte sie ein Kratzen im Hals bekommen, aber immerhin lief ihre Nase nicht mehr. Vor einer halben Stunde hatte sie angeboten, die Befragung von Marion Burmeister, der Bürgermeisterin von Kirchhagen, zu übernehmen, weil die Aussicht, doch noch an die frische Luft zu kommen, zu verlockend war. Sie hatte eigentlich beim Dorfkrug parken und den Rest zu Fuß gehen wollen, aber der kalte Wind trieb einen feinen Nieselregen fast waagerecht vor sich her, und so hatte sie den Wagen direkt vor der Haustür geparkt. Ihre Erkältung war Gott sei Dank am Abklingen; einen Rückfall konnte sie nicht gebrauchen.
Das Bestattungsinstitut der Burmeisters hatte keine diskret verhängten Schaufenster mit auf Samt dekorierten Urnen und Informationstäfelchen, wie Pia es aus der Stadt kannte, sondern eine schlichte Eingangstür mit zwei Klingeln, eine für private und eine für geschäftliche Anliegen. Durch ein Fenster neben der Eingangstür fiel warmes Licht.
Kurz nach dem Klingeln stand eine Frau im Türrahmen, die höflich lächelte. Sie stellte sich als Marion Burmeister vor, amtierende Bürgermeisterin von Kirchhagen. Pia schätzte sie auf Mitte fünfzig. Sie war sehr adrett gekleidet mit Bluse, Blazer und Halstuch im Ausschnitt, das blondierte Haar sorgfältig zueiner weich fallenden Kurzhaarfrisur gefönt. Ihr Händedruck fühlte sich warm und fest an.
Sie führte Pia durch einen dunklen, kühlen Flur in ein wohnlich eingerichtetes Büro. Ein ovaler Eichentisch mit Tischdecke und Blumendekoration sowie vier gepolsterte Stühle standen nah an dem mit Spitzenstores verhängten Fenster. In der hinteren Ecke des Raums brannte in einem gemauerten Kamin ein Feuer.
Frau Burmeister nahm Pia die dicke Daunenjacke ab und bot ihr einen Platz mit Blick auf das Feuer an. Pia, die bei Befragungen eigentlich die angebotenen Erfrischungen grundsätzlich ablehnte, ließ sich von Frau Burmeister zu einem Tee überreden, »der ist gerade frisch aufgebrüht« und griff auch beim Gebäck zu, das direkt vor ihrer Nase in einer Schale lag. Sie zog ihr Notizbuch und einen Kugelschreiber heraus und legte beides neben das Gedeck aus feinem, mit Blüten geschmücktem Porzellan. Frau Burmeister schenkte ein, rückte die Schale mit Kandis und das Milchkännchen zurecht und nahm dann gegenüber der Kommissarin Platz.
»Lisanne Olsen? Natürlich kannte ich sie. Eine vielversprechende junge Frau«, erklärte Frau Burmeister auf Pias Frage. »Wir haben uns regelmäßig auf den Gemeindeversammlungen gesehen. Sie hat ein paar Mal über die geplante Umgehungsstraße geschrieben. Sie haben sicherlich schon davon gehört, dass Kirchhagen endlich seine Umgehung bekommen soll. Ich kenne vor allem ihren Freund, Jan Dettendorf, gut. Schließlich war ich mit seinen Eltern eng befreundet, bis die sich dann entschlossen haben, ihr Rentnerdasein im sonnigen Süden zu verleben.«
»Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Jan Dettendorf und Lisanne Olsen beschreiben? Eher freundschaftlich, oder hatten sie eine Beziehung?«
»Oh, eine schwierige Frage. Jan war der Meinung, dass sie zusammen wären und wollte sie, glaube ich, im nächsten Sommer gern heiraten. Darum hat er auch die baufällige alte Kate auf seinem Grundstück für sie renovieren lassen. Meines Erachtens war er förmlich vernarrt in sie. Manche Männer sind ja so: die oder keine. Schade eigentlich. Ich glaube nicht, dass sie besonders gut zueinander gepasst haben.«
Pia, die gerade von einer noch warmen Zimtschnecke abgebissen hatte, beeilte sich zu schlucken. »Warum? Wollte Frau Olsen gar nicht heiraten?« »Entweder das, oder sie wollte ihn nicht heiraten. Sie machte auf mich einen sehr eigenständigen Eindruck, und sie war ungeheuer ehrgeizig. Manches Mal hab ich so gedacht …« Sie nahm einen kleinen Schluck Tee und fuhr dann etwas leiser fort, »… dass sie ihn nur ausgenutzt hat. Ihr Pferd, das bei ihm so günstig untergebracht war, das kleine Häuschen für sie allein, die Hindernisstrecke in Dettendorfs Wald … Trotzdem hatte sie alle Freiheiten der Welt. Nur ja keine Verpflichtungen. Aber das ist vielleicht ein Problem der jüngeren Generation. Außerdem sollten Sie mich als parteiisch betrachten. Ich mag Jan Dettendorf gern. Als kleiner Junge war er oft hier bei mir und hat in der Tischlerei und der Sargausstellung gespielt. Seine Eltern hatten durch den großen Betrieb nicht so viel Zeit für den Kleinen,
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