Grablichter - Almstädt, E: Grablichter
und ich, ich konnte keine Kinder bekommen, wissen Sie.«
Der Tee war vorzüglich: stark, aromatisch und sehr heiß. Genau das Richtige an einem Tag wie heute. Auch Polizisten sind nur Menschen, dachte Pia, und griff noch mal zu ihrer Zimtschnecke. »Wer wohnt außer Ihnen noch in diesem Haus?«, fragte sie und bemerkte interessiert, wie die Bürgermeisterin kurz die Augenbrauen zusammenzog. »Mein Mann und ich wohnen allein hier. Dann gibt es noch Frau Stoppe, die regelmäßig für mich putzt. Wenn im Geschäft viel zu tun ist, schaffeich nicht alles allein. Ich mache sehr viel Bürokram. Sie wissen ja: Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare.«
»Sie sind ja auch Bürgermeisterin. Wie schaffen Sie das trotz der vielen Arbeit in Ihrem Betrieb?«
»Das ist mein Ausgleich. Irgendwann hat es mir nicht mehr ausgereicht, hier im Büro am PC zu sitzen oder mich beim Dekorieren der Edelstahlurnen zu verwirklichen. Ich habe vor etwa zwanzig Jahren damit begonnen, mich für die Belange des Ortes zu engagieren. Seit fünf Jahren bin ich Bürgermeisterin von Kirchhagen, und wenn die Gemeinde zustimmt, mache ich das auch noch ein paar Jahre länger.« »Haben Sie sich auch für die Umgehungsstraße eingesetzt?«
»Das war über Jahre hin ein wichtiges Projekt, ja. Seit Mitte der achtziger Jahre sind wir jährlich mit einer Delegation nach Kiel gefahren, um die notwendige Ortsumgehung zu erwirken. Wir sind Jahr um Jahr vertröstet worden. Nach mehreren Verkehrszählungen und etlichen Presseberichten über die Zustände hier im Ort hatten wir 1998 endlich ein ernsthaftes Gespräch und kurz darauf eine Zusage. Doch seit den Voruntersuchungen zur Linienführung dieser Umgehungsstraße geht es hier rund. Niemand will die Umgehung direkt vor seiner Nase haben …«
»Welche Variante vertreten Sie?«
»Die bestmögliche für Kirchhagen. Eine Zeit lang schien es mir, als wäre die westliche Variante günstiger als die östliche, weil von dort sowieso schon der Lärm von der Autobahn kommt. Ich hatte gehofft, gleichzeitig einen Lärmschutz erwirken zu können. Mittlerweile glaube ich, dass wir nur im Osten, und zwar leider ortsnah, überhaupt eine Chance haben, dass der Bau verwirklicht wird. Das ist die wirtschaftlich und ökologisch günstigste Variante.«
»Lisanne Olsen war anderer Meinung?«
Marion Burmeister setzte ihre Tasse so schwungvoll auf die Untertasse, dass es klirrte. »Ihre Meinung war doch gar nicht relevant. Ich glaube, dass sie auch für die Ost-Varianten war, aber das wird vor allem daran gelegen haben, dass für Dettendorfs Hof so viel auf dem Spiel steht. Sie war parteiisch.«
»Dann war da vielleicht doch mehr als Freundschaft zwischen Frau Olsen und Herrn Dettendorf?«
Marion Burmeister zupfte ein welkes Blatt aus ihrer Blumendekoration. Dann beugte sie sich zu Pia hinüber und senkte die Stimme. »Ich wollte es eigentlich der Polizei gegenüber nicht erwähnen, wissen Sie. Es hört sich so nach Tratsch an. Aber ich war schon etwas besorgt. Am letzten Samstag habe ich Lisanne Olsen zufällig in Lübeck gesehen. Am späten Vormittag in einem Café. Sie saß dort mit einem mir unbekannten Mann zusammen und hat sich sehr angeregt mit ihm unterhalten.«
»Und was schließen Sie daraus?«
Sie lehnte sich wieder zurück. »Na, was könnte das wohl bedeuten? Lisanne Olsen hatte einen anderen. Es war eindeutig, so wie sie miteinander getuschelt haben.«
»Wie sah er denn aus?«
»Gepflegt, Anzug, glatt rasiert und mit ganz kurzem Haar. Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen. Ich könnte ihn mir in einer Bank oder einer großen Firma vorstellen.«
»Sie haben Frau Olsen nicht nach ihm gefragt?«
»Oh nein, so vertraut waren wir nicht miteinander. Jan habe ich übriges auch kein Sterbenswort davon gesagt.«
Pia notierte sich Zeit und Ort des Treffens.
»Zum Abschied haben sie sich geküsst«, setzte Frau Burmeister halblaut hinzu. »Ich meine, richtig, nicht nur so flüchtig …«
In diesem Moment öffnete sich die Zimmertür. Ein hagerer Mann mit grauem Haar und eingefallenem Gesicht kamherein und grüßte mit einem gleichgültigen Nicken. Er hielt Frau Burmeister ein Formular hin. Dabei bemühte er sich vergeblich, das Zittern seiner rechten Hand zu unterdrücken, indem er mit der Linken das Handgelenk umfasste. Pia sah, dass seine Haut dünn wie Papier war und stellenweise entzündet aussah. Als Marion Burmeister das Formular unterschrieben hatte, schlurfte er schweren Schrittes wieder
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