Grabmoosalm (German Edition)

»Pfeifdidit.«
    Ottakring versuchte, einen Arm um die schmale Schulter zu legen.
    Der Riesenhund entblößte die Zähne. Er knurrte.
    Ottakring nahm den Arm wieder weg.
    »Du warst dabei, als deine Großmutter … äh … gestorben
ist?«, fragte er.
    Der Pfeiferl sah ihn mit großen Augen an.
    Nicht grad einfühlsam von mir, musste Ottakring einsehen. Aber nur
mit Fragen bekommt man eine Antwort.
    Der Pfeiferl verzog das Gesicht, klatschte dem Hund aufs Hinterteil,
und beide rannten davon.
    An der Tür stieß Ottakring fast mit der Resi zusammen.
    Hinter ihr drängte ein Riese von Mann nach draußen. Ein finsterer
Kerl wie ein Bär mit einem mächtigen Kinn.
    »Halt di zruck, Alois«, sagte die Resi zu ihm. Und zu Ottakring
entschuldigend: »Der Bassist.«
    »Dein Sohn«, sagte Ottakring. Almwirtinnen duzte man. »Der ist
weggrennt. Mit dem Hund.«
    »Was hast du damit zum Tun?«, fragte die Resi.
    Almwirtinnen duzen zurück.
    Der Alois hatte die Resi beiseitegeschoben und sich vor Joe
Ottakring aufgestellt.
    »Lass die Resi in Ruh«, knurrte er.
    »Alles klar«, sagte Ottakring.
    Normalerweise hätte er jetzt seine Dienstmarke gezückt. Doch er
besaß keine mehr.
    »Ich lass die Resi in Ruh. Aber du hast jetzt wieder deinen Einsatz!
Geh rein! Ohne dich kommen die ned zurecht.«
    Der Alois streifte die Resi mit einem kurzen Blick.
    Die nickte.
    Der Alois drehte sich um und ging wieder seinem Job nach.
    Ottakring nahm die Resi zur Seite.
    »Wie alt ist dein Bub jetzt? Neun? Ja? Warum hat’s ihm denn die Sprache
verschlagen? Nach allem, was man hört, genau seit dem Tag, an dem die alte
Moserin gestorben ist. Erschossen wurde.«
    Er sah das Flackern in ihren Augen.
    »Ich war ja kurz vorher noch bei euch gewesen. Erinnerst du dich?«
    Die Resi schluckte und nickte.
    Drinnen war echt was los. Die Musi spielte auf, die Gäste sangen im
Chor, durchs offene Fenster drang der heiße Geruch von Schweiß, Bier und
Schweinswürstl mit Kraut nach draußen.
    »Dann wirst du dich auch erinnern, dass es ein Handgemenge zwischen
der Moserin und deiner Mutter gab.«
    Täuschte er sich, oder wurde die Resi tatsächlich blass im Gesicht?
Ihre Miene jedenfalls war wie versteinert.
    »Und nicht lang danach wird deine Mutter erschossen. Vom Hund. Das
glaubst du doch selber nicht.«
    Zum ersten Mal machte sie jetzt den Mund auf.
    »Des hab ich alles schon der Polizei gsagt«, sagte sie. »Zeugnis hab
ich abgelegt.«
    Ottakring nickte gutmütig.
    »Na prima«, sagte er. »Du hast der Polizei gsagt, dass der Hund
deine Mutter erschossen hat. Du weißt schon, dass du dich strafbar machst, wenn
du vor der Polizei falsches Zeugnis ablegst. Wenn du lügst.«
    Er machte eine bedeutungsvolle Pause, während der die junge Frau im
geblümten Kleid vor ihm mit den Händen rang.
    »Wie hat denn die Moserin reagiert, als ihre Tochter plötzlich tot
umfiel?«
    Er war sicher, dass er auf der richtigen Spur war. Er durfte nur
nicht die Geduld verlieren. Was ihm nicht leicht fiel.
    Drinnen machte die Musik eine Pause. Man hörte nur das Gewirr von
Stimmen und vereinzelte Liedfetzen. Eine Gruppe von Menschen drängte durch die
Tür nach draußen.
    »Wo bleibst denn, Resi?«, rief eine Frau mit quietschender Stimme.
    »Du wirst gebraucht«, rief ein pockennarbiger Mann mit langem,
dünnem Hals und hohem Timbre. »Des Bier is ausganga.«
    »Ich muss jetzt wieder rein in den Trubel«, sagte die Resi fast
verlegen.
    Ottakring hatte den Eindruck, sie hätte gern noch weitergesprochen.
Die Spannung war innerhalb der letzten Minuten deutlich gestiegen.
    »Also servus derweil«, sagte die Resi, winkte ihm linkisch zu und
stieg die zwei Stufen hinauf.
    »Hat jemand den Pfeiferl gsehn?«, rief sie laut in die Wirtschaft
hinein.
    »Ja, servus«, gab Ottakring gedankenverloren zurück. Er wusste, dass
es nicht nur Einbildung war, was sich ihm aufgedrängt hatte. Und zusätzlich zur
Resi war da noch ein weiterer Zeuge, den er befragen würde: der Bub, der
sympathische.
    Der Pfeiferl.
    ***
    Plötzlich konnte der Pfeiferl wieder richtig reden!
    Als das Mädchen herübergerufen hatte »Ich bin die Arabella«, hatte
er schon die Lippen gespitzt.
    »Didididadaaadidit«, hatte er pfeifen wollen. Doch ohne dass er
etwas dazu tat, rief er mit seiner Stimme und mit seiner richtigen Sprache
zurück: »Und ich bin der Seppe.«
    Cool!, dachte er. Ich kann wieder richtig reden.
    Auch die Sissi schaute ihn ganz komisch an.
    Aber das Stärkste war der Wolf. Der fing plötzlich