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Grabmoosalm (German Edition)

Grabmoosalm (German Edition)

Titel: Grabmoosalm (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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an zu quietschen
und zu hecheln und drehte sich im Kreis herum. So lang im Kreis herum, bis er
Seite an Seite mit der Sissi stand und an ihr herumschnüffeln konnte.
    »Hey, Seppe, was tust du hier? Ich mein, was tut ihr hier?«, fragte
die Arabella. »Ich bin unten aus der Stadt abgehauen. Du kannst auch Bella zu
mir sagen.«
    »Ich wohn hier«, sagte der Seppe bescheiden und deutete in die Richtung,
aus der sie gekommen waren. »Und wie lang bist du schon hier oben? Wie bist du
an den Wolf gekommen? Warum hat er dich nicht gefressen?«
    Bella musste lachen. Ihr Lachen klang hell und glucksend wie das
Geplätscher des Bachs hinter der Grabmoosalm, der in engen Schleifen durch den
Wald den Berg hinunterfloss.
    »So viele Fragen auf einmal«, sagte sie.
    Zur Aufzählung nahm sie die Finger zur Hilfe.
    »Eins. Seit genau vier Tagen. Zwei. Der Wolf hat mich gesehen und
sofort mitgenommen. Und drei. Weil wir uns mögen. Sehr sogar.«
    Wenn sie lachte oder lächelte, klaffte eine breite Lücke zwischen
den oberen Schneidezähnen.
    Dem Seppe gefiel das. Bei seiner Großmutter hatte auch so eine Lücke
geklafft.
    Immer wenn er an Großmutter dachte, wurde er traurig. Wie sie
einfach umgefallen war, von einem Augenblick auf den anderen, das hätte den
stärksten Mann umgehauen, da war er sich sicher.
    Und nun musste er auch noch die Lügen mittragen, welche die Mama der
Polizei aufgetischt hatte. Ganz schön blöd, dachte er, bevor er wieder zu
heulen anfing. Einfach so. Er hielt die Hände vors Gesicht, damit die Bella
nichts merkte.
    »Hey, was ist? Weinst du?«, fragte sie ihn im selben Moment.
    Er schüttelte den Kopf und wischte sich mit den Handrücken das Nasse
von den Augen, bis er wieder sehen konnte.
    Sie standen auf der Waldlichtung, auf der sie sich das erste Mal getroffen
hatten, der Wolf und die Sissi. Da hatten sie noch gekämpft. Blut war
geflossen.
    Der Seppe fasste sich ein Herz und kniete vor dem Wolf nieder.
Vorsichtig schlang er die Arme um den Hals des Raubtiers.
    »Guter Hund«, sagte er halblaut. »Guter Hund. Keine Schafe mehr
reißen.«
    Der Wolf riss sich los. Schnappte zu.
    Erwischte den Seppe im Gesicht. An der Wange, um genau zu sein, und
am Ohr.
    Die Sissi wurde wild. Sprang dem Wolf auf den Rücken und versuchte,
ihm ins Genick zu beißen.
    Dann war im Nu alles wieder vorbei. Als ob sämtliche Beteiligten
sich besonnnen hätten.
    Am Ende ließen alle die Köpfe hängen. Ein Wolf ist und bleibt ein
wildes Tier. Obwohl die Bella es nicht wahrhaben wollte. Doch sie brauchte nur
ihren neuen Freund, den Seppe, anzuschauen. Der blutete und würde das nachher
seiner Mutter erklären müssen.
    Und er hatte auch sonst kein gutes Gefühl.
    Außer dass er, ohne zu wissen, was das ist und wie das geht, ein
bisschen verliebt war.
    ***
    »Keine Sorge, Liebster, ich wollte nur deine Stimme
hören.«
    Sorglosigkeit ist der Anlass für viele Sorgen. War er zu sorglos
gewesen?
    »Im Rahmen unserer Weiterbildung haben wir am Unterricht in einer
Schule teilgenommen. Dort ist gerade ein Virus umgegangen. Ich fürchte, ich hab
mir den eingefangen.«
    Lola hatte aus Finnland angerufen. Sie war schrecklich erkältet, ihr
ging’s nicht gut.
    Wieso war der Junge eigentlich nicht in der Schule?, fragte sich Joe
Ottakring. Er machte sich schon Vorwürfe, nicht schon früher auf diese Frage
gekommen zu sein. Doch natürlich! Schulferien.
    Seit seiner Pensionierung hatte er kein Gefühl mehr für Wochenenden
und Ferien, nicht einmal mehr für Urlaubszeit. Erst wenn Kolonnen von
Fahrzeugen mit holländischem Kennzeichen durch die Stadt drängelten, merkte er,
dass es wieder so weit war.
    Ganz in Gedanken spazierte er vorgebeugt Richtung Wald, die Hände
hinter dem Rücken verschränkt. Ein Beobachter hätte ihn, so wie er aussah und
sich gab, vielleicht für einen pensionierten Lehrer oder Zahnarzt oder
Lokführer mit Rückenschmerzen halten können. In keinem Fall für einen
Handwerker, Briefträger oder Politiker.
    Oder gar einen Kriminaler.
    Er fragte sich, wie es kam, dass hier oben beständig schlechte Sicht
herrschte. Es kam ihm vor wie kurz vor einem Vulkanausbruch. Auch der Geruch,
den er in der Nase hatte, passte dazu. Als ob die Erde Schwefel atmete.
    Ein lautes, tiefes Bellen schallte aus der Ferne durch den Bergwald.
Unwillkürlich musste Ottakring an die Dogge denken. Soweit er mitbekommen
hatte, war der Bub nicht weit, wenn die Dogge auftauchte.
    Zwanzig Minuten nachdem er die Grabmoosalm verlassen und den

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