Grabmoosalm (German Edition)
nix Bestimmtes woaß mer ned.
Vor lauter Essensvorbereitungen und Gästebegrüßen hatte die Resi gar
nicht bemerkt, dass der Pfeiferl schon wieder ausgerissen war.
Als die zwei, er und die Sissi, wieder heimkamen, fragte die Mama:
»Ja, wo habt ihr euch denn schon wieder rumgetrieben?«
Die zwei blieben stumm, denn sie wollten nicht lügen.
Und die Resi hatte sofort wieder anderes zu tun.
»Was ist eigentlich mit der toten Türkin bei dir heroben?«, kam der
Alois in die Küche gestürmt. »Erst is dei Oma erschossen worn, und jetzt sollen
s’ eine Türkin umbracht haben, hab ich ghört. Dir bleibt scho gar nix erspart.«
Zweiter Teil
EINS
»Gülsüm Hastemir, einundzwanzig, ledig, keine Vorstrafen,
kein Schufa-Eintrag, kein Eintrag in Flensburg, wohnhaft in Rosenheim-Kastenau,
Adlerstraße 17, Adresse der Eltern. Vierhundert-Euro-Job bei dem
Klebstoffhersteller Colatol in Thansau. Türkischer Pass.«
Die nüchterne erste Auskunft über die Tote.
Chili Toledo spürte, dass sie auf dem richtigen Weg war.
»Gülsüm hatte eine enge Freundin«, berichtete sie Rico Stahl. »Eine
Arbeitskollegin bei Colatol. Auch eine Türkin, sie heißt Hanife Oben. Um zur
Arbeit zu kommen, mussten die beiden mit der Bahn nach Raubling fahren. Von
dort hat sie meistens jemand im Auto mitgenommen. Oder Hanifes Mann hat sie aus
Rosenheim zur Arbeit gebracht. Er ist arbeitslos. Wollen Sie mitkommen, Chef? Wir
besuchen die Familie Oben.«
»Aha. Kamelbulle«, sagte Rico Stahl.
»Wie bitte? Kommen Sie jetzt mit oder was?«
»Oben ist ein männliches Kamel. Ein Bulle halt.«
Er strich sich selbstbewusst übers gegelte Haar.
Chili sah ihren Chef erstaunt an. Sie wusste, dass er über Fähigkeiten
verfügte, die er als Agent beim BKA erworben
hatte und die jetzt als einfacher Mordchef wohl verkümmern würden.
Fliegen zum Beispiel. Tauchen. Über Wasser laufen. Wasser in Bier
verwandeln. Sprachen.
»Also. Gehmer.«
»Ja, eindeutig. Das ist Gülsüm«, sagte Hakan Oben und
nickte heftig.
Hanife, seine junge Frau, schaute ihm über die Schulter. Sie trug
ein bronzefarbenes Kopftuch, das bis über den Oberkörper reichte. Gülsüms beste
Freundin. Tränen rannen ihr über die Wangen. Auch sie nickte schweigend.
»Gülsüm war vor wenigen Tagen erst bei uns gewesen«, sagte Hanife.
»Mit ihrem Sohn.«
Rico Stahl sah Chili Toledo überrascht an.
»Sohn?«, fragte er sie.
Chili zuckte mit den Achseln und schaute in die andere Richtung.
»Ja. Die Frau hatte einen gut zweijährigen Sohn.«
»Dreijährig«, verbesserte Hanife.
»Sag ich doch. Gut zweijährig«, sagte Chili und strich sich übers
Haar.
Rico fraß sie mit Blicken auf.
»Wann war sie bei Ihnen?«, fragte er Hanife. »Wann genau?«
»Okay«, sagte der Ehemann in einwandfreiem Deutsch. »Lassen Sie mich
überlegen. Heute ist Freitag. Äh, Gülsüm war am vergangenen Samstag bei uns.«
Ein Seitenblick zu Hanife bestätigte seine Schätzung.
»Wir haben uns ganz normal unterhalten«, fuhr Hanife fort.
Sie schob das Kopftuch mit zwei Fingern hinters Ohr zurück.
»Der Kleine hat fast den ganzen Abend auf meinem Schoß gesessen.«
»Wann haben Sie zum ersten Mal gemerkt, dass Gülsüm vermisst wird?«,
sagte Rico.
»Sie sind gut«, rief Hakan aus und sprang auf. »Das haben wir sehr
früh gemerkt. Das muss kurz nach dem Einbruch gewesen sein.«
Wäre sein Stuhl ein Trampolin gewesen, hätte Rico Stahl einen Rekord
im Hochsprung ohne Anlauf aufgestellt. So aber blieb er brav sitzen und beugte
sich lediglich einen halben Meter vor.
»Einbruch?«, fragte er mit einem schiefen Blick auf Chili. »Welcher
Einbruch?«
Das türkische Paar sah sich an.
Ihre Wohnung war komfortabel und auch nach mitteleuropäischen
Maßstäben praktisch eingerichtet. Familienfotos an den Wänden. Ikea-Mobiliar.
Lediglich ein grellbunter Gebetsteppich passte nicht ganz dazu.
»Zwei Tage, nachdem sie bei uns waren«, ergriff Hakan das Wort, »ist
bei ihr eingebrochen worden.« Er überlegte kurz. »Also am Montag, dem vierten.«
»Ihr Vater war bei ihrem Besuch bei uns auch dabei«, warf Hanife ein.
»Ihr Vater. Und ihr Söhnchen.«
Die nächste Überraschung.
Chili rutschte unruhig auf ihrem Stuhl umher.
»Ja mei«, sagte sie entschuldigend zu Rico. »Hab ich übersehen,
Ihnen zu sagen. Sie hat zwar mit ihrem Buben in der Wohnung der Eltern gelebt.
Aber sie hatte nur mehr einen Vater. Die Mutter ist verstorben.«
In Rico wühlte es. Da hatte ihn Chili schön auflaufen lassen.
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