Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yang Jisheng
Vom Netzwerk:
rechten Opportunismus, in deren Verlauf im allgemeinen Parteimitglieder und Kader, die die Verwahrlosung der Felder und den Hunger geschildert hatten, als Leugner der Erfolge von 1958 hingestellt und gnadenlos angegriffen wurden. Niemand wagte es, die Wahrheit zu sagen, die »fünf Winde« brachen sich breite Bahn und waren durch nichts aufzuhalten. 1959 stiegen die Ankaufquoten von 33,2 Prozent der Gesamtproduktion im Jahre 1958 noch einmal auf 39,5 Prozent. Im Frühjahr 1960, als die Menschen in Massen verhungerten, durfte jeder nur etwa zwei Liang pro Tag zurückkaufen. Das sind kaum mehr als ein Liang oder 50 Gramm nach dem Dezimalsystem.
    Die Volksküchen im Kreis Hao
    In den zehn Tagen vom 7. bis zum 17. September 1958 wurden kreisweit über 4700 Volksküchen eingerichtet. In der Regel waren die Produktionsteams für die Küchen verantwortlich, Verwalter und Buchhalter waren in einer Person vereint. Gut einen Monat lang gab es drei Mahlzeiten am Tag, alles in Hülle und Fülle, Jung und Alt, Männer und Frauen drängten zusammen zum Essen. Es war wie ein einziges Hochzeitsbankett. Vor der Tür wehte die rote Fahne, Gäste der Volkskommune und Passanten konnten in den Küchen etwas zu essen bekommen, und das durchweg ohne Geld und ohne Marken. Wenn Führungskader und Reporter zur Besichtigung oder zur Berichterstattung vorbeischauten, schlug ihnen Jubel entgegen und es gab »Hoch die Volksküchen!«-Rufe.
    Es dauerte nicht lange, bis die Probleme sichtbar wurden: Vor den meisten Volksküchen bildeten sich zur Essenszeit lange Schlangen, vor der Tür hockten Massen von Menschen und aßen. Am Kopf der Schlange standen Leute, die schon gegessen hatten, am Ende der Schlange solche, die noch nichts bekommen hatten. Wenn es regnete, watete man im Schlamm, wenn man etwas zu essen haben wollte, wenn es kalt war, war das Essen kalt, bis man es bekam. Auf Alte und Kranke konnte keine Rücksicht genommen werden, Säuglinge, für die nicht genug Muttermilch da war, konnte man nur schwer unterstützen. Die Vergeudung der Nahrungsmittel war sehr schlimm. Kurz nach der Herbsternte gab es nichts mehr. Ein Großteil der Volksküchen war gezwungen, den Betrieb einzustellen.
    Zu diesem Zeitpunkt war der Getreideankauf für 1958 noch nicht abgeschlossen; um die staatlichen Quoten zu erfüllen, wurde zum einen im Namen der Kampagne gegen Verheimlichung und private Abzweigung von Erträgen nach Getreide gesucht, zum anderen wurden auf wichtigen Ausfallstraßen des Kreises und um die Kreisstadt herum »Abratstationen« errichtet, die abwandernde Bauern untersuchte und aufgriff.
    Zwischen Februar und März 1959 grassierte kreisweit die Wassersucht. Die Bauern sind in Massen in die Nachbarprovinz Henan abgewandert. In der ersten Märzhälfte 1959 waren kreisweit nur noch ein paar Dutzend Volksküchen in Betrieb, Produktion und Feldarbeit im Frühling kamen im Grunde vollständig zum Erliegen. Bis zur Weizenernte waren die Volksküchen nur noch sporadisch geöffnet. Kurz nach der Weizenernte kam das Sommerloch und die Volksküchen konnten nur noch mit Mühe einen normalen Betrieb aufrechterhalten.
    Nach der Lushan-Konferenz breitete sich die Kampagne gegen rechte Tendenzen in Windeseile aus, der »Schutz der Volksküchen« war eine wichtige Aufgabe dieses Kampfes. Das Kreiskomitee war der Auffassung, was um die Volksküchen, den Besuch der Volksküchen durch das Volk, um die Kommunistische Partei und den Sozialismus gekämpft werde, sei ein Klassenkampf. Deshalb hatten die Bauern keineswegs »die Freiheit, die Volksküchen zu verlassen oder sie zu besuchen«, denn auch wenn in den Töpfen nichts war, auch wenn sie Wasser zu essen bekamen und Gemüsesuppe, so mussten sie sich dafür doch in den Volksküchen versammeln. Wer die Volksküchen »verleumdete und angriff«, wurde selbst hart attackiert. Der Leiter des Produktionsteams von Klein-Chenzhuang Cheng Zhongzeng hat folgenden Knittelvers geschrieben:
»In die Volksküchen geht essen, meist gibt’s nichts zu fressen, nie ist was da, die Kleinen schrein nach der Mama.«
    Für dieses Verschen wurde er zum rechten Element gestempelt, verlor seinen Posten als Produktionsteamleiter und wurde mehrfach einer Kampfkritik unterzogen.
    Das Kreiskomitee hat außerdem verlangt, dass die nur noch sporadisch öffnenden Volksküchen alle und überall den Betrieb wieder aufnehmen sollten. Die Hausvorräte der Kommunemitglieder samt ihren Töpfen und Pfannen wurden in den Volksküchen konzentriert.

Weitere Kostenlose Bücher