Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
Außerdem mussten die Bauern jetzt für eine Mahlzeit gut ein paar Meilen laufen, was bei Regen und Schnee ausgesprochen bitter war. Das jeweilige Einzugsgebiet der Kantinen war zu groß, die Töpfe waren zu klein, es gab zu wenig Dämpfkörbe, oft konnte das Essen nicht pünktlich auf den Tisch gebracht werden. Ein paar Leute haben folgenden Knittelvers verfasst:
»Frühstück, wenn die Sonn’ im Süden steht, Mittag, wenn sie rot im Westen untergeht, Abendessen, wenn der Hahn dann kräht, und morgen wird es mindestens genauso spät.«
Wegen dieses Verses wurde unter Kadern und Lehrern eine ausgedehnte Untersuchung durchgeführt. Man wollte herausfinden, wer das »üble Subjekt« gewesen ist, das diesen Knittelvers verfasst hatte, aber die Untersuchung blieb ohne Ergebnis.
Um zu überleben, haben die Bauern ein bisschen wildes Gemüse und Baumrinde gegessen, aber dass es in den Familien der Kommunemitglieder keine Töpfe mehr gab, sollte zu einem großen Problem werden. Einige Produktionsteams haben die Töpfe ihren Mitgliedern teilweise wieder zurückgegeben, aber wenn es dann in Richtung Getreideernte ging, haben sie sie wieder eingesammelt, um zu verhindern, dass das Getreide noch grün von den Halmen gegessen wurde.
Die Bauern haben die Töpfe nicht am helllichten Tag aufgestellt, sie haben sie im Feuerholz versteckt oder in der Nähe des Ufers im Fluss und sie erst am Abend hervorgeholt und sich ein bisschen wildes Gemüse gekocht oder Baumrinde.
Die Rationen in den von der Kampagne gegen rechte Tendenzen restaurierten Volkskommunen waren sehr niedrig, in der Regel bekam man pro Tag und Person etwa zwei Liang. In den meisten Volksküchen gab es über zwei Jahre hinweg kein Öl, ganz zu schweigen von Fleisch. In einigen Küchen gab es monatelang kein Salz. Im Winter konnten sie kein heißes und kein abgekochtes Wasser zur Verfügung stellen. Der Brennholzmangel war ebenfalls ein weit verbreitetes Problem der Volksküchen. Um dem Brennholzmangel abzuhelfen, hat man zum einen Bäume gefällt, zum anderen Häuser abgerissen. Kreisweit wurden über 80 Prozent der Bäume abgeholzt, über 100000 Häuser wurden kreisweit abgerissen. In manchen Gegenden hat man Gräber geöffnet und aus den Särgen Brennholz gemacht. Die Särge wurden auf offenem Feld zu Brennholz gemacht, übrig blieben die bleichen Gebeine – es lief einem kalt den Rücken hinunter.
Im Herbst 1959 wurde für Kader vom stellvertretenden Büroleiter des Kreiskomitees an aufwärts eine eigene kleine Volksküche eingerichtet. Dort wurde Weizenmehl und Reis gegessen, sämtliche Lebensmittel waren in Hülle und Fülle vorhanden. Kader, die zu Besuch waren, wurden ebenfalls in dieser kleinen Kantine verköstigt. Und auch wenn man für sie Marken haben musste, wurden die Rationen Monat für Monat überzogen; ein Problem, dessen sich das Finanzbüro des Kreiskomitees angenommen hat.
Im allgemeinen hatten die Volksküchen Licht- und Schattenseiten. So wurden an Orten wie kleinen Höfen, Raketenbataillonen (eine Einheit, die hauptsächlich aus bewaffneter Miliz bestand), Restaurants und Gemüsegärten der Volkskommunen heimlich mehr Vorräte verbraucht, womit man die Bedürfnisse von einigen Führungskadern befriedigte. In manchen Volkskommunen blieb es nicht dabei, es gab Gelage und es wurde Alkohol getrunken.
Die Mehrzahl der Kader hat nach außen hin gedarbt und sich heimlich den Bauch vollgeschlagen. Wer im Ostdorf nicht satt wurde, wurde es im Westdorf, und so haben sie mit tausenderlei Tricks und Schlichen sich selbst und ihren Familien das Leben so angenehm wie möglich gemacht. Die einzelnen, in ihrem Arbeitsstil schlechten Kader haben sich nicht darum geschert, ob die Bauern dabei draufgehen; wo sie konnten, haben sie Getreide blockiert, beiseitegeschafft und nicht nur die Bedürfnisse ihrer Familien befriedigt, sondern es auch noch zu hohen Preisen verkauft. Während die Bauern noch durchschnittlich zwei, drei Liang pro Kopf und Tag hatten, haben die Kader etwa ein Drittel der Vorräte der Volksküchen verbraucht.
Ein Kader der Volkskommune Gucheng erzählt: »Mit dem Abwiegen von einem Löffel konnte ich in der Volksküche über Leben und Tod jedes Einzelnen entscheiden.«
In den Kantinen bekamen die Kader mehr zu essen, ihre Familien hatten mehr zu essen, ihre nahen Verwandten hatten mehr zu essen, die Küchenangestellten hatten mehr zu essen, das obere Untersuchungspersonal hatte mehr zu essen; den Massen wurden im Krankheitsfall die
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