Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Aufschwemmung des ganzen Körpers führt.
    Alle Enzyme und Hormone werden aus dem Grundstoff Protein gebildet. Wenn nicht genug Protein zur Verfügung gestellt wird, können Insulin und das Hormon des Hypophysenvorderlappens nicht gebildet werden, was zu allen möglichen Symptomen führen kann, wie zum Beispiel, dass die zugeführten Proteine und Fette nicht mehr absorbiert werden können, was den Proteinmangel im Körper noch erhöht. Wenn dem Körper nicht ausreichend Protein zugeführt wird, kann er keine Antikörper bilden, was seine Widerstandskraft verringert.
    Bei langanhaltender nicht ausreichender Zufuhr von Proteinen und Kohlenhydraten werden das körpereigene Fett und die Proteine der inneren Organe und Muskeln vollständig verbraucht, die Kranken magern bis auf die Knochen ab, was gemeinhin als Auszehrung bezeichnet wird.
    Die Lebenserwartung zu Hungerzeiten ist von verschiedenen Faktoren abhängig wie zum Beispiel dem Ausmaß, in dem zu wenig Energie und Proteine zugeführt werden, und dem anfänglichen Ernährungszustand des Körpers. Dieser Prozess kann sich über Jahre hinziehen, es kann aber auch schnell gehen und in ein paar Monaten vorbei sein. Wenn das Körpergewicht unter 30 Prozent des Normalgewichts sinkt, ist der Kranke nicht mehr zu retten.
    Das bezieht sich auf den »unvollständigen Hunger«. Wie bereits gesagt hat ein Teil der Bauern in den schlimmen Jahren unter »vollständigem Hunger« gelitten, genauer gesagt unter dem »vollständigen Hunger, bei dem Wasser getrunken wird«. Der Ablauf des Verhungerns kann im Allgemeinen in drei Phasen unterteilt werden:
die Phase der Euphorie, drei bis vier Tage;
die Phase der Blockade, 35 bis 40 Tage;
die Phase der Lähmung, zwei bis drei Tage.
    Die Phase der Euphorie ist vor allem die Zeit der Verbrennung des körpereigenen Zuckers; wenn die Zuckerreserven zur Neige gehen, wird auf die Fettreserven umgeschaltet. Wenn die Fettreserven zur Neige gehen, kommt es in der Anpassungsfunktion der Verdauung zu einer tiefgehenden Blockade und zu einem dramatischen Abbau von Histonen (Zellkernproteinen).
    Im Vergleich zum unvollständigen Hunger ist die Aufschwemmung des Körpers nicht besonders auffällig. Im Spätstadium nimmt das Eiweiß im Blut ab, der osmotische Druck in den Blutkolloiden sinkt und es kommt zu der für die Wassersucht typischen Aufschwemmung.
    Die Veränderungen der Organe sind bei weitem nicht so augenfällig wie beim nicht vollständigen Hunger, vor allem schrumpft der Herzmuskel normalerweise nicht. Aber seine Kraft lässt rasch nach, da die Kraft des Herzmuskels direkt von der Zuckerversorgung abhängig ist. Die wichtigsten der anderen Organe verbrauchen am wenigsten. [595]   Im Vergleich zum nicht vollständigen Hunger tritt beim vollständigen Hunger der Tod bei einem Verlust des Körpergewichts von 40 bis 50 Prozent oder darüber ein.
    Bei extremem Hunger werden sämtliche Lebensfunktionen des menschlichen Körpers heruntergefahren und eine gewisse Zeit sind die instinktiven Reflexe auf den Hunger extrem. Aufgrund des Überlebensinstinktes greift der Körper nach allem Verwertbaren. Gleichzeitig wird dem Überleben alles untergeordnet, auch die Menschlichkeit. Menschen, die extremem Hunger ausgesetzt sind, können nicht mehr in Kategorien wie Verwandtschaft, Moral und Menschlichkeit denken. Unvollständigen Statistiken zufolge gingen die Fälle von Kannibalismus damals landesweit in die Zehntausende, sehr oft auch innerhalb von Familien.

Kapitel 10
    Die Wende von Lushan
    Die Lushan-Konferenz hat insgesamt 46 Tage gedauert, vom 2. Juli bis zum 16. August 1959. Bis zum 2. August war sie eine erweiterte Konferenz des Politbüros der Zentralkomitees, vom 2. bis zum 16. August dann wurde sie zur achten Plenarversammlung des Zentralkomitees. Ohne die Konferenz von Lushan hätte das Hungerdesaster mit dem Schwung der Korrekturen vom ersten Halbjahr 1959 noch in diesem Jahr beendet werden können und die Zahl der Toten läge um zwei Drittel niedriger. Aber die Eröffnung der Lushan-Konferenz hat dazu geführt, dass die falsche Politik von 1958 noch verschärft und die schwere Hungersnot schlimmer und über drei, vier Jahre hinaus in die Länge gezogen wurde.

Die Versammlung der Weisen verbirgt Mordabsichten
    Nach der Konferenz von Beidaihe im August 1958 sorgte der Große Sprung nach vorn allenthalben für Chaos. Um aus der prekären Lage wieder herauszukommen, haben Mao Zedong und das Zentralkomitee zwischen November 1958 und