Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
vorgeschlagen und vom nationalen Volkskongress bestimmt. Außerdem wählt der Kongress die höchsten Richter der Volksgerichte und die höchsten Staatsanwälte der Volksstaatsanwaltschaft. Nach den Bestimmungen der Verfassung hat der Nationale Volkskongress darüber hinaus das Recht, über alle wichtigen Fragen, die das Leben im Staat betreffen, zu entscheiden – wie etwa die Untersuchung und Genehmigung der nationalen Wirtschaftspläne und das Staatsbudget, er genehmigt die Aufteilung der Provinzen, Städte und Selbstverwaltungsgebiete und entscheidet über Krieg und Frieden.
Nach den Bestimmungen der Verfassung von 1954 vertritt der Staatspräsident der Volksrepublik China das Land nach außen, aber gleichzeitig muss sich der Vorsitzende der Volksrepublik China mit den Mitgliedern des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses abstimmen, erst dann hat er die Befugnis, als Staatsoberhaupt zu agieren. Bei dieser Sachlage ist das Staatsoberhaupt praktisch ein aus Staatspräsident und Ständigem Ausschuss des Nationalen Volkskongresses gebildetes Kollektiv.
Nach dem ersten Nationalen Volkskongress wollte Mao Zedong nicht mehr Staatspräsident sein, woraufhin Liu Shaoqi das Amt übernahm. Dass nach der Entmachtung Lius in der Kulturrevolution kein Staatspräsident mehr aufgestellt worden war, liegt daran, dass Mao selbst es nicht machen, aber auch niemand anderen in diesem Amt sehen wollte.
Baron de Montesquieu war der Auffassung, dass eine Republik ein politisches System ist, in dem das gesamte Volk oder ein Teil des Volkes die höchste Macht hat; eine Monarchie ist ein politisches System, bei dem ein Einzelner unter Befolgung von Gesetzen die Macht ausübt; eine Despotie ist ein politisches System, in dem ein Einzelner nach eigenem Gutdünken die Macht ausübt, ohne sich an Gesetze oder Regeln zu halten.
Ihrer Verfassung nach ist die Volksrepublik China eine »Republik« und keine Despotie. Damals aber kannte China nur zwei Gesetze, das eine war die Verfassung, das andere war das Familienrecht. Mao Zedong konnte (vor allem in seinen späten Jahren) eine Verfassung installieren und, ohne auf sie Rücksicht zu nehmen, tun, was er wollte. Am Nachmittag des 21. August 1958 sagte er auf der Konferenz von Beidaihe:
»Man kann die Mehrheit der Menschen nicht nach Gesetzen regieren, die Mehrheit muss man nach ihren Gewohnheiten regieren. Das Militär regiert mit Militärgesetzen, wenn das nicht funktioniert, wird eine Versammlung von 1400 Leuten abgehalten [damit spielt er auf die erweiterte Sitzung der Militärkommission an]. Wer kann sich denn schon all die verschiedenen Paragraphen des Zivil- und des Strafrechts merken! An der Ausarbeitung der Verfassung habe ich teilgenommen, aber ich kann mich an ihre einzelnen Paragraphen nicht erinnern. Han Feizi hat über die Herrschaft von Regeln gesprochen, später haben dann die Konfuzianer über die Herrschaft von Menschen gesprochen. Jede unserer Entscheidungen ist ein Gesetz, unsere Versammlungen, das ist unser Recht. Erst wenn die Bestimmungen für Recht und Ordnung sich auch auf die Gewohnheiten stützen, wird man sie beachten, werden sie zum Common Sense und das ganz von selbst, und dann kann man auch den Kommunismus erreichen. All unsere Regulierungssysteme sind in ihrer überwiegenden Mehrheit, zu neunzig Prozent von Ämtern gemacht, im Grunde aber stützen wir uns nicht auf sie, sondern vor allem auf unsere Entscheidungen, auf die Versammlungen, von denen wir vier im Jahr abhalten. Wir stützen uns nicht auf Zivil- und Strafrecht, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Nationale Volkskongress, der Staatsrat haben jeweils ihr Regelwerk, aber wir stützen uns auf das unsere.« [877]
Die modernen westlichen Staaten sind parlamentarisch regiert, China hingegen wird von »Versammlungen regiert«. Diese sogenannte Versammlungsregentschaft bedeutet, dass auf Versammlungen sämtliche wichtigen Dinge entschieden werden und bei diesen Versammlungen alles auf die Meinung der obersten Führung hört. Die Versammlungen sind ein Instrument, mit dem die führenden Leute ihren Willen umsetzen, die »Entscheidungen« der Versammlungen sind praktisch der schriftliche Ausdruck dieses Willens.
Partei und Regierung sind nicht getrennt und die Macht konzentriert sich in den Händen der wichtigsten Führungspersonen der Partei. Der Verfassung nach ist der Nationale Volkskongress das oberste Entscheidungsgremium, in Wahrheit aber liegt die höchste Macht in den Händen
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