Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
sind es neun Prozent. Unter den 145 Kindern im städtischen Kindergarten von Lanzhou sind 31 an Wassersucht erkrankt.«
Hauptursache für die Erkrankungen war der Nahrungsmittelmangel. [127]
Die Situation unter den Zwangsarbeitern auf den Farmen zur Umerziehung durch Arbeit und zur Umerziehung durch Lernen war sehr viel schlimmer. Nach einem Bericht des Amtes für Umerziehung durch Arbeit im Yumen-Gebiet war die Situation der Erkrankungen und Todesfälle auf diesen Farmen äußerst ernst und verschlimmerte sich immer weiter. Seit Anfang November waren auf den Farmen von Yinma und Mogutan insgesamt 265 Menschen gestorben. Auf der Yinma-Farm waren alleine am 21. November 34 Personen gestorben. Ursache für das Massensterben war als Erstes der Hunger, als Zweites die überschwere Arbeit und als Drittes die mangelnde Vorbereitung auf den Wintereinbruch. Die Zwangsarbeiter auf den Farmen bekamen kleine Nahrungsmittelrationen, wovon ein Teil auch noch von den Kaderküchen auf der Farm unterschlagen wurde.
Die Ehepaare Wang Jinghe und He Fengming waren jeweils zu rechten Elementen erklärt und zur Arbeit und Belehrung auf die Farmen Jiabiangou und Anxi verbracht worden. Die Wang Jinghes verhungerten auf Jiabiangou, nicht einmal ihre Leichen konnten gefunden werden, die He Fengmings hatten auf Anxi eine äußerst geringe Überlebenschance. He Fengming hat im Alter die fürchterlichen Zustände dieser Jahre in einem Buch festgehalten. Auf Jiabiangou gab es ursprünglich über 2800 Zwangsarbeiter, aber nur sechs- bis siebenhundert sind nicht verhungert. Und nicht wenige Leichname wurden von den Leidensgenossen verzehrt. Die Mehrzahl dieser Hungertoten waren Intellektuelle, die sich eine Bestrafung zugezogen hatten, weil sie offen ihre Meinung gesagt hatten. [128] Und weil die Leichen der Toten nur sehr oberflächlich verscharrt wurden, schauten auf einer Länge von zwei Kilometern haufenweise die Gebeine aus dem Boden. Hier die Schilderung der Tragödie eines solchen Falles aus seinem Buch:
»Dong Jianyi, ein Doktorand (andere sagen ein Magister) der medizinischen Fakultät von Harvard, war 1952 in das neue China und nach Shanghai zurückgekehrt, wo er in einem Krankenhaus für Bedürftige die Urologie leitete. 1955 kam er zur Unterstützung der großen Bauprojekte im Nordwesten nach Lanzhou, wo er im Volkskrankenhaus der Provinz arbeitete […] 1957 wurde er nach Xintiandun auf die Jiabiangou-Farm zur Umerziehung durch Arbeit und Belehrung geschickt. Später wurde er zu einer Zweigstation der Farm in Gaotai verlegt. Auch seine Frau Gu Xiaoying hatte in Amerika studiert. In den zwei, drei Jahren, die Dong Jiangyi auf der Farm verbrachte, machte seine Frau alle zwei, drei Monate die weite Reise von Shanghai zur Farm, um nach ihrem Mann zu sehen. Damals war die Neue Lanzhou-Trasse noch nicht mit Shanghai verbunden; sie musste oft umsteigen, bis sie die Farm erreichte.
1960 verhungerte eine Vielzahl der Zwangsarbeiter auf der Jiabiangou-Farm. Eines Tages in der ersten Novemberhälfte wusste Dong Jianyi, schließlich war er Arzt, dass er nicht mehr lange zu leben hatte. Er sagte zu seinem Gruppenleiter Liu Wenhan: ›Erfahrungsgemäß kommt sie alle zwei, drei Monate einmal, aber mein Gesundheitszustand erlaubt es nicht, sie zu sehen.‹
Da überall die Gebeine aus dem Boden schauten, brachte Dong Jianyi Liu Wenhan bei, wie er seine Leiche in seinen Kleidern, seiner Decke und einen Teppich einwickeln sollte. Drei Tage später war Dong Jianyi tot, er war 35 Jahre alt geworden. Liu Wenhan begrub das Bündel, in das er ihn gepackt hatte, in einer vom Regenwasser ausgewaschenen Grube. An einem Abend sieben, acht Tage nach dem Tod von Dong Jianyi kam dessen Frau aus Shanghai an. Sie riss den Strohvorhang vom Eingang seiner Höhle und fragte hastig: ›Ist mein guter Dong hier?‹
Da erzählte ihr Liu Wenhan wohl oder übel, dass ihr Mann schon seit sieben, acht Tagen tot war. Als sie das hörte, stieß Gu Xiaoying einen herzzerreißenden Schrei aus. Die Leidensgenossen ihres Mannes hatten zu viel Tod gesehen, sie waren vollständig abgestumpft. Als sie da vor ihnen saß und nicht mehr zu weinen aufhörte, saßen sie selbst nur da und weinten wortlos. Zwei, drei Stunden später fasste sie sich schließlich und bat die Leidensgenossen ihres Mannes, ihr seinen Leichnam zu zeigen. Doch als sie zu der Grube kamen, in der sie ihren Leidensgenossen begraben hatten, war der Leichnam zu ihrem Entsetzen nicht mehr da. Sie suchten
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