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Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)

Titel: Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yang Jisheng
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den Menschen die Vernunft geraubt und ihre Würde. In den Volksküchen gab man zunächst eine Kanne oder einen Bottich Suppe pro Familie aus, später wurde es immer weniger und die Leute wurden immer gereizter; wer von Zuhause zum Suppeholen geschickt wurde, hat auf dem Rückweg die Suppe aufgegessen, was den anderen natürlich alles andere als recht war. Also kam es überall in den Familien zu heftigen Überlebenskämpfen, mit dem Resultat, dass alle sich mit einer Kanne bewaffnet gemeinsam in der Tür drängten und warteten. Als die Volksküchen geschlossen waren, hat jeder in seinem eigenen Topf alles mögliche gekocht.
    Damals waren beim Essen in den Volksküchen Waschbecken und Tonpötte sehr beliebt (weil viel hineinging); ein Schälchen allerdings konnte man, wenn die Suppe alle war, auslecken. Das war mit solchen Pötten nicht zu machen, nur kleine Kinder konnten den Kopf hineinstecken und sie ausgiebig auslecken, und woran sie mit der Zunge nicht hinkamen, haben sie sich mit ihren kleinen Fingern in den Mund geschoben.
    Eines Tages in der Volksküche einer Volkskommune fiel einem Kader eine Kartoffel aus dem Schälchen. Ein sieben, acht Jahre alter kleiner Junger streckte blitzartig die Hand aus und las sie vom Boden auf, doch der Kader stellte ihm den Fuß auf die Hand, worauf der Junge aufschrie, doch der Kader nahm davon anscheinend keine Notiz. [132]  
    Damals hieß es, wenn so und so viele verhungerten, dass so und so viele »krank« seien. Außerdem gab es eine Anweisung vom Kreis, »wenn einer ›krank‹ ist, wird einer beerdigt«. Das Kreiskomitee machte den Vorschlag, man solle das als Hygienemaßnahme bezeichnen, man solle nicht sagen, man habe Tote beerdigt.
    In einem Bericht des Kreiskomitees von 1965 heißt es, während der schweren Hungersnot von 1959 bis 1960 seien »im ganzen Kreis 60210 Menschen gestorben, 2168 Haushalte vollständig ausgestorben, 1221 Kinder sind zu Waisen geworden, 11940 Menschen sind abgewandert, über 360000 Mu Ackerboden sind verödet, über 33000 Stück Vieh sind verendet, über 40000 Schafe wurden geschlachtet, Schweine, Hühner, Katzen und Hunde sind fast vollständig ausgestorben, über 50000 Häuser sind abgerissen, über 270000 Bäume gefällt worden, die landwirtschaftliche Produktion ist zum Stehen gekommen, die Schulen und Fabriken sind geschlossen, die Gesellschaft ist instabil.« [133]  
    Auf der Konferenz der alten Kader im Kreis Tongwei im August 2000 erzählten einige, die selbst dabei gewesen waren, dass die Zahlen in den »Kreisannalen von Tongwei« zu niedrig seien, in Wahrheit sei ein Drittel verhungert.
    Damals hätten über 70 Prozent der Familien den Verlust von Menschen zu beklagen gehabt, eine Großzahl der Leichen sei nicht beerdigt worden. Am Winteranfang 1959 hätten die drei Produktionsteams von Jiudianzi der Produktionsbrigade Fünf Sterne in der Volkskommune Chengguan aus insgesamt 700 Personen bestanden, von denen täglich über 30 verhungert seien. Die noch Lebenden hätten die Leichen auf Karren mit Holzrädern getragen, sie zu dem nahen Wassergraben gezogen und dort in einem Massengrab beerdigt.
    Von der achtköpfigen Familie der Ma Qingfeng (später sei sie Leiterin des Kindergartens und Sonderlehrerin geworden) in der Volkskommune Yuanjichuan seien bis auf sie selbst, die sie damals zur Normalen Universität von Longxi gegangen sei, alle verhungert. Die sieben Leichen seien in eine Grube geworfen worden. Später habe man im Kreis dann »Hygienemaßnahmen« verlangt und die Brigaden angewiesen, solche Gruben zuzustampfen, damit man äußerlich keine Spuren mehr erkennen konnte.
    Jing Gennian, ein alter Herr, der an der Konferenz teilnahm, war vor seiner Pensionierung ein wichtiger Mann im Kreis und in den Jahren, um die es hier geht, Kader im Provinzamt für Metallurgie, und er war Mitglied einer Arbeitsgruppe, die hierhergeschickt worden war, um das Problem von Tongwei zu lösen.
    Er erzählte, im Herbst 1959 hätten sie bei ihrer Ankunft überall, auf den Kangs, auf den Straßen und zwischen den Feldern Menschen liegen sehen, Tote und noch Lebende wahllos durcheinander. Die Arbeitsgruppe flößte den noch Lebenden Suppe ein. Damals habe man nicht vor den Toten, sondern vor den Lebenden Angst gehabt. Es habe so viele Tote gegeben, da habe man keine Angst mehr gehabt, aber die Lebenden wollten die Toten essen, das war fürchterlich.
    Im Februar 1962 kam er zur Produktionsbrigade Zhonglin (die der Volkskommune Chengguan

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