Grabstein - Mùbei: Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958-1962 (German Edition)
entsetzliche Katastrophe.
Im August 2000 eröffnete ich eine Konferenz von alten Kadern über das »Tongwei-Problem« und suchte einige von ihnen einzeln zu einem Gespräch auf. Ich hatte vor, in Tongwei die historischen Materialien einzusehen, aber der für das Archiv zuständige Mann sagte, er habe klare Anweisung von oben, er dürfe Akten über das »Problem von Tongwei« nicht herausgeben. Später habe ich auf anderen Wegen in anderen Archiven das entsprechende Material gefunden.
Nach den revidierten »Kreisannalen von Tongwei« hatte sich die Bevölkerung 1961 im Vergleich zu 1958 um 78462 verringert, das sind 28,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. In den drei Jahren von 1956 bis 1958 gab es jeweils einen Bevölkerungszuwachs von durchschnittlich 2,67 Prozent. Ohne die Hungersnot hätten 1961 in Tongwei 299506 Menschen leben müssen, aber in Wirklichkeit waren es nur 201255, das sind 32,8 Prozent weniger. Die 98251 Menschen, die fehlen, sind verhungert, weniger geboren worden oder abgewandert. [130] Nach den Archivaufzeichnungen sind im Februar 1960 allerdings nur 3892 Personen für immer abgewandert.
Die vom Gesundheitsamt der Provinz organisierte medizinische Abteilung beschreibt die Lage in einem Bericht folgendermaßen:
»Die Nahrungsmittel reichen nicht aus, selbst kräftige Männer sind geschwächt, alte Menschen sterben, bei den Frauen bleibt die Regel aus, die Kinder verkümmern, Magersucht grassiert […]
Die Auszehrung ist ausschließlich auf mangelhafte Ernährung zurückzuführen, es gibt keine sonstigen Symptome. Man kann das sehr leicht übersehen. Die Menschen fürchten sich vor der Wassersucht, aber niemand erkennt die Gefahren der Auszehrung. Am auffälligsten ist das in der kleinen Produktionsgruppe Zhangjiachacun des Produktionsteams »Der Osten ist rot« in der Volkskommune Chengguan: Sie hatte 1959 noch 204 Einwohner und wurde um ein Drittel dezimiert. Unter den 128 Personen, die heute noch dort leben, sind 65 krank. Erst kürzlich sind 13 von ihnen, vor allem alte Menschen und Kinder, einen sehr plötzlichen Tod gestorben.
Die von der Mangelernährung ausgelöste Auszehrung hat zudem eine Reihe von Begleiterscheinungen wie Magendarmerkrankungen, Verdauungsstörungen und Durchfälle und das Grassieren von Parasiten wie Bandwürmern. Das ebenfalls ist auf die Mangelernährung zurückzuführen, als deren Folge wahllos alles gegessen wird und Essen und Trinken sehr oft verschmutzt sind. Der Ort Qiaodiwan vom Produktionsteam Shuangbao in der Volkskommune Chengguan besteht aus 23 Haushalten mit 119 Personen, von denen 70 erkrankt sind. Bis auf zwölf Personen leiden ausnahmslos alle an Magendarmerkrankungen und Parasiten.
Die Produktionsgruppe Shenjiacha dieser Produktionsbrigade besteht aus insgesamt 35 Haushalten mit 130 Personen, von denen 97 erkrankt sind, und zwar alle 97 an Magendarmerkrankungen, 93 leiden unter Parasiten.
Nach der Situation im Kreis Tongwei haben wir als Ursachen für die Auszehrung eine nicht vollständige Analyse angestellt:
Schlechtes Leben, Mangel an Getreide und Reis, hohes Krankheitsrisiko durch Nahrungsmittelersatzstoffe.
Schwächung infolge von Erkrankungen, die eine Genesung erschwert.
Fehler in der Auswahl der Nahrungsmittelersatzstoffe: In der Volkskommune Xinjing wurde Buchweizenkleie gegessen, die noch einmal getrocknet zur Gefühllosigkeit des gesamten Körpers, zu Hautjucken, Schwärzung des Gesichts und sehr schnellem Aufdunsen führen kann. In der Volkskommune Yigang kam es zu dem Verzehr von wildem Wunderbaum, was in leichten Fällen zu Schwindel und Völlegefühl, in schweren Fällen zum Tod führt.
Unabgekochtes Wasser, rohes Getreide, Salate sind Ursachen für Parasiten und Magendarmerkrankungen.
Aufgrund des Nahrungsmittelmangels kommt es in den Familien zu relativ schweren Misshandlungen. Die Erwachsenen misshandeln ihre Kinder, die Kinder misshandeln die Alten, die Gesunden misshandeln die Kranken, Männern wird der Vorzug vor Frauen gegeben, Eltern misshandeln ihre Töchter und Schwiegertöchter. Für die Misshandelten ist die Auszehrung umso schlimmer.
Wie wir hören, wollten Menschen, die das Fleisch von toten Personen zu sich genommen haben, keine Getreideprodukte essen, außerdem waren sie ›so mager, dass das Fleisch an den Knochen klebte‹. Diese Leute hatten vor ihrer Auszehrung eine blutunterlaufene Bindehaut.« [131]
Der uralte Kreis Tongwei war eigentlich eine Gegend, in der man das Brauchtum achtete. Aber der Hunger hat
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