Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi
Müllmann, ein Nachbar, der sich ein Ei ausborgen will. Jungelchen, in unserem Job lernst du, mit allem zu rechnen. Du wirst ergo unkenntlich gemacht, und damit basta.“
„Ich kann ihm eine Perücke leihen!“, bot Mireille Mathieu an. „Ich habe eine ganze Kollektion! Alles Echthaar aus Indien!“
Was sich mengenmäßig als Untertreibung erwies, kaum dass sie und Alfie das Zimmer – ganz in Gold und Weiß und mit Panoramablick – betreten hatten. Mireille besaß gefühlte hunderttausend Perücken, aber allesamt in exakt demselben Schnitt – Mireille Mathieu eben: schwarz, etwas-über-Ohr-lang, Pony. Als sie Alfie eine davon überstülpte und er in den Spiegel sah, schaute ihn Prinz Eisenherz an. Gewöhnungsbedürftig. Aber nicht uncool.
„Nicht uncool“, sagte Mandy, die vom Schreck und dem Blutverlust immer noch ein wenig blass um die Nase war. Sie stand mit verschränkten Armen in der Tür.
Irgendwo in seinem Hinterkopf wunderte sich Alfie, warum Mandy beim Aufwachen nach der kurzen Schuss-Ohnmacht nicht „Polizei!“ gerufen hatte. Sie hatte sich von der Herzoginwitwe verarzten lassen, war mit einem Becher heißer Schokolade kurz auf ihr Zimmer verschwunden und dann wieder aufgetaucht, als wäre nicht das Geringste passiert. Vielleicht färbte die Ruhe der anderen auf sie ab. Oder sie hatte zu viele US-Ballerserien angeschaut und fand es ganz normal, umgenietet zu werden. Womöglich hatte sie ja lange in New York gelebt. Alfie ging nämlich davon aus, dass in New York die Luft unglaublich bleihaltig war und sich quasi jeder dort einmal im Leben eine Kugel einfing. Mindestens.
Während Alfies Kleinhirn ganz beiläufig über Mandys Abgebrühtheit meditierte, studierte Alfies Großhirnrinde sein Erscheinungsbild. Prinz-Eisenherz-Frisur, ein kariertes Flanellhemd, zu kurz geratene Wollhosen und strassbesetzte Flip Flops. Das war keine modische Aussage, das war ein ästhetisches Desaster.
„Und was mache ich jetzt?“, wollte Alfie wissen.
„Mir erzählen, woran du dich bezüglich deiner Seebestattung noch erinnerst.“ Jeff Bridges sah ihn auffordernd an.
Alfie wurde wieder mulmig. Er spürte die Plastiktüte um seinen Kopf, den Felsbrocken an seinen Beinen und das Wasser, das ihn sanft hin- und herwogen ließ wie eine menschliche Alge.
„Mit wem warst du da unten?“, wollte Jeff Bridges wissen.
„Wir haben uns einander nicht vorgestellt“, lästerte Alfie. „Es wurden auch keine Visitenkarten ausgetauscht.“
„Jungelchen, du mauserst dich. Es geht nichts über eine Nahtoderfahrung, um aus einem Jungen einen Mann zu machen.“ Jeff Bridges lächelte anerkennend.
„Ich bin ein Mann?“ Alfie strahlte.
„Noch lange nicht!“
Mosche Dajan klopfte an die offene Tür. „Ich habe meine Verbindungen spielen lassen.“ Er wedelte mit dem Ausweis, den der Dings bei sich gehabt hatte. „Ein Fake. Es gibt keinen Urs-Rudi Gasser in Thun. Also es gibt einen Rudi Gasser, aber das ist ein anderer.“
„Falscher Ausweis, Scharfschützengewehr – da hat sich einer richtig Mühe gegeben.“
„Oder er ist ein Profi.“
„Nee, wenn er Profi wäre, hätte er unseren Kleinen nicht zwei Mal verfehlt“, hielt Mireille dagegen. Sie zog etwas Weißes mit Rüschen aus ihrem Kleiderschrank. „Hier, Alfie, schlüpf da mal rein.“
„Ich zieh keine Frauenbluse an!“ Alfie war in Kleidungsfragen wertekonservativ.
Mireille Mathieu kicherte. „Das ist doch keine Frauenbluse! Das ist das Original-Bühnenhemd, das der Tiger 1968 in Las Vegas getragen hat. Und fragt mich nicht, wie ich daran gekommen bin: Was in Las Vegas passiert, bleibt in Las Vegas!“
„Ein Tiger in einem Rüschenhemd?“ Alfie staunte.
Mireille Mathieus kokettes Lächeln verblasste abrupt. „Der Tiger. Tom Jones! Das weiß man doch. Der Tiger ist Legende!“ Sie fing an, den Refrain von It’s Not Unusual zu singen und mit den Hüften zu wackeln. Wobei sie nicht genug Hüfte hatte, um wirklich wackeln zu können. Selbst für eine Asiatin war sie erstaunlich schmalhüftig.
Alfie fühlte sich gezwungen, das Hemd anzuziehen. Und – parbleu! – das machte allen Unterschied der Welt. Sah er eben noch aus wie eine kuriose Mischung aus Superheld, Holzfäller und Hippie, wirkte er nun auf einen Schlag wie eine schnittige Version von Austin Powers. Er war nicht mehr Alfie, er war das Schärfste, was Seefeld in Tirol in diesem Moment an Testosteron zu bieten hatte. Gewissermaßen ein Mann in geheimer Mission. Wenn schon eine lebende
Weitere Kostenlose Bücher