Grace - Die Biographie

Hinterzimmer schon einmal prophylaktisch vier Särge.
    Zwölf Uhr mittags zeigt auf ernüchternde, sehr klare Weise den offensichtlichen Verlust moralischer Werte. Die Hexenverfolgungen aus der McCarthy-Ära schwingen latent mit. Der Film ist bei alledem nicht alt geworden, ist nicht in seiner Zeit verhaftet geblieben, hat nichts in seiner Optik und in seiner Wirkung verloren. »Es ist«, wie es Fred Zinnemann 1992, genau vierzig Jahre nach den Dreharbeiten, in einem einzigen Satz resümiert, »eine Geschichte, die noch immer überall passiert, jeden Tag.« 113 Etwas, das Zwölf Uhr mittags mit dem direkten Folgefilm in Grace Kellys Filmographie, Mogambo , verbinden mag, ist, dass Mogambo -Regisseur John Ford dort ein ähnlich archetypisch konträres Frauenpaar besetzt, wie es hier mit der hellen, blonden, nordisch anmutenden Grace – die den ganzen Film hindurch einzig in ihrem weißen Hochzeitskleid und einem weißen Hut erscheint – und der schwarzhaarigen, südländisch aussehenden Katy Jurado – die wiederum ganz in Schwarz gekleidet ist – der Fall ist. In Mogambo sind es Grace und die dunkle, üppigere Ava Gardner, die die Gegensätze verkörpern. Trotz dieses vordergründigen Antipodentums sind sowohl die gebundene Amy Kane als auch die ungebundene Helen Ramirez, jede auf ihre Weise, zwei selbständige, unabhängige Frauenfiguren, die beide eine psychologische Entwicklung durchlaufen, insbesondere Amy. Die Sequenz zwischen den beiden Frauen hat in der Interpretationsgenese des Films daher auch bis hin zu feministisch argumentierenden Theorien geführt. 114
    Die Mexikanerin Katy Jurado, neben Grace die einzige andere Schauspielerin am Set dieses Westerndramas, erinnert sich an die Dreharbeiten von Zwölf Uhr mittags : »Für Grace Kelly war es der große Durchbruch, und für mich mein erster amerikanischer Film, hier in Hollywood. Ich war zwei Jahre älter als sie und hatte sieben Jahre Filmerfahrung in Mexiko. Grace und ich waren so grundverschieden. Wir konnten es uns nicht erklären. Wir standen uns auch nicht sehr nahe. Aber ich erkannte, dass sie ein Mädchen voller Würde und Persönlichkeit war, denn sie wollte jemand in der Welt des Films werden, und in dieser Produktion arbeitete sie sehr hart. Sie wirkte schwach und sehr klein – aber sie war sehr stark. Ich glaube, sie war einer der stärksten Filmstars, mit denen ich je gearbeitet habe. Sie wusste, was sie wollte – und tat es auch.« 115
    Bis Grace ab dem Spätherbst 1952 den Winter über in Afrika an der Seite von Clark Gable vor der Kamera für Mogambo steht, werden noch ein paar Monate vergehen, die sie teils in New York in ihrem Apartment verbringt, teils in Philadelphia oder Ocean City, bei ihrer Familie. Sie spielt Theater– so etwa in dem Stück To Be Continued , einer Komödie, zuerst in Boston, dann am Booth Theatre am New Yorker Broadway aufgeführt, wie es oftmalsUsus ist, oder in For Love or For Money und Accent on Youth in einem Theater ihrer Heimatstadt, im Playhouse und tritt auch weiterhin in mehreren Live-Fernsehspielen auf. Dieser Sommer 1952 wird der letzte Sommer sein, den sie über längere Zeit hin in Philadelphia verbringt.
    In jenen Monaten verbringt sie auch noch Zeit mit Gene Lyons (1921–1974) in New York – so besuchen sie gemeinsam im März 1952 eine Vorführung von Zwölf Uhr mittags . Nicht zuletzt ist es Lyons’ und Graces Überzeugung, nicht für Hollywood geschaffen zu sein, weshalb sie sich erneut dem Theater zuwendet. Lyons ist zu dieser Zeit hauptsächlich am Broadway beschäftigt und wirkt in Live-Fernsehspielen mit. Sie studieren ihre Stücke gemeinsam ein, helfen sich gegenseitig bei Proben und Dialogen – privates und professionelles Leben gehen fließend ineinander über. Graces Verbindung mit Gene Lyons ist jener mit Don Richardson daher nicht ganz unähnlich. Ihre Beziehung ist eng, intensiv – beide sind sie seit ihrer gemeinsamen Zeit in Denver sehr verliebt ineinander.
    Doch der attraktive, acht Jahre ältere Ire Lyons hat noch eine zweite Liebe – den Whiskey. So wie seine Titelfigur in Fitzgeralds Stück The Rich Boy. Und so wie sich die weibliche Hauptfigur, von Grace interpretiert, trotz ihrer beider Gefühle füreinander von ihm abwendet, so wendet sich auch Grace einige Zeit später von Gene ab und bestätigt einmal mehr, und nicht zum letzten Mal, die kritischen Einwände und Befürchtungen aus dem Elternhaus in Philadelphia. Gene Lyons, durch seine Alkoholsucht an einer größeren