Grace - Die Biographie
geben Arbeitskollegen und Teammitglieder wieder, die sie in den fünfziger Jahren an Filmsets in Hollywood und New York erleben. »Sie war die Pünktlichste und die Verlässlichste« 51 , und sie verfügte über eine vollkommene Textsicherheit. Beides ist bei Schauspielern alles andere als eine Selbstverständlichkeit – jene andere Hollywood-Blondine dieser Epoche, Marilyn Monroe, kommt mitunter Stunden zu spät an den Set und kann nicht eine Zeile ihres Dialogtextes.
George Edward Kelly (1887–1974), einer der Brüder von Graces Vater und nur wenige Jahre älter als dieser, ist für seine Nichte Grace, deren Patenonkel er ist, eine durchaus wichtige Figur. Wenngleich der Bruder Walter C. Kelly (1873–1939) Vaudeville-Schauspieler ist und auf landesweiten Tourneen in den USA und in England mit dem Musical Virginia Judge ( Der Richter von Virginia ) – welches im Jahre 1935 mit ihm in der titelgebenden Hauptrolle auch verfilmt wird – allenthalben gefeiert wird, gilt George Kelly, ebenso wie Walter unverheiratet, viel mehr noch als jener Vertreter der Kellys, der sich den Künsten, der Literatur, dem Theater wirklich und wahrhaftig verschrieben hat und allein hierdurch den Ruf des Exoten innehat. George Kelly ist – wie seine Nichte Grace – ein Phantast, ein Träumer, einer, der Bücher liebt und es ablehnt, aus Beuteln zubereiteten Tee zu trinken. Überdies aber ist der eigenwillige und verschrobene Mann mit seinem leicht versnobten, jedoch stilvollen Habitus, im Gegensatz zum schauspielernden Bruder Walter, homosexuell. Ein Leben lang ist George Kelly mit seinem Partner William Weagly zusammen, einem ehemaligen Buchhalter, der für George zugleich auch eine Art persönlichen Allround-Bediensteten darstellt. Als George Kelly stirbt und die Trauerfeier in der St. Bridget’s Church in der Midvale Avenue abgehalten wird, sitzt Weagly – über fünfundfünfzig lange Jahre Georges getreuer Wegbegleiter und von den Kellys stets nur als dessen Kammerdiener betrachtet –, seitensder Kellys weder eingeladen noch beachtet, allein in der letzten Reihe der Kirche und weint bitterlich.
Für seinen Bruder Jack Kelly und ihre anderen gemeinsamen Brüder Patrick, Walter und Charles ist Georges Homosexualität ein kompromittierender Umstand, den es konsequent und strikt zu negieren und kaschieren gilt. Es soll ein Familiengeheimnis bleiben. Ein Homosexueller unter lauter Katholiken irischer Provenienz, denen die erarbeitete gesellschaftliche Reputation und die Ausübung viriler Sportarten heilig sind.
George Kelly kennt das Gefühl nur zu gut, anders zu sein, nicht dazuzugehören. Es ist ein Gefühl, das auch Grace in sich trägt.
Just dieser Onkel ist es, der Grace am nahesten steht und ihr vielerlei Anstöße gibt für ihre Karriere. Nicht zuletzt bei Graces Aufnahme in die American Academy of Dramatic Arts in New York, die nicht ganz ohne Komplikationen verläuft, wird der Name George Kellys eine ganz entscheidende Rolle spielen. George Kelly verabscheut Sport und liebt Shakespeare. Und so ist dieser Onkel George – der nach seinem Stück The Show-Off (1924) für das darauf folgende Craig’s Wife (1925) im Jahre 1926 mit dem renommierten Pulitzerpreis für Theater ausgezeichnet wird – letztlich der einzige Kelly, der Grace voll und ganz versteht, der ihr Empathie und Verständnis entgegenbringt, der sie fördert und anspornt. Auch später, als Grace längst eine Berühmtheit ist, trifft sie sich immer wieder mit ihrem Lieblingsonkel, etwa zu gemeinsamen Essen, bis zu dessen Tod im Juni 1974.
Onkel George bringt für Grace das mit, was Vater Jack ihr nie gezeigt und stets verwehrt hat: Er ist stolz auf seine Nichte. »Oft gingen wir Sonntags in die Kirche. Danach kam Onkel George (…), holte uns ab, machte mit uns eine Spritztour und lud uns zum Mittagessen ein. Sie (Grace) genoss diese Ausfahrten mit George sehr. Sie redeten die ganze Zeit. Ich saß hinten und döste, aber die beiden redeten über Theater, Bücher und Gedichte« 52 , so Schwester Lizanne Kelly LeVine.
Wenige Wochen vor seinem Tod schreibt George Kelly in einem Brief: »Ich bin so stolz auf meine Nichte Grace. Sie war eine bewundernswerte Schauspielerin, aber vor allem ist sie eine Frau mit einer Mischung aus ungewöhnlich guten Eigenschaften. Hättesie ihre Karriere als Schauspielerin fortgesetzt, sie wäre heute an der Spitze aller Stars.« 53
Für Die Fackelträger erhält Grace ihre erste Rezension in einer heimischen Zeitung
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