Grace - Die Biographie
reisen Jack und Margaret Kelly mit Grace und der jüngeren Schwester Lizanne in der dritten Juniwoche nach England, um Kell beizustehen. Die Kelly-Familie kommt im »Red Lion Hotel« in Henley unter, wo sie allesamt während des Wettkampfes wohnen. Kell, 1947 genau zwanzig Jahre jung, muss die Niederlage von Vater Jack wiedergutmachen. Und er gewinnt tatsächlich, wird am 5. Juli 1947 mit dem Cup der Diamond Sculls ausgezeichnet, dem Pokal für die Sieger der Henley-Regatta. Die Kellys feiern den siegreichen Stammhalter, der unter den Farben der University of Pennsylvania antritt.
Welche Last für einen Sohn, den einzigen zumal, neben seinen drei wiederum untereinander rivalisierenden Schwestern. So wie Kell, einziger Stammhalter und Lieblingskind des Vaters, ohnehin alles zu erfüllen hat, was von einem Kelly vermeintlich erwartet wird: Immer, wirklich immer, auf der Gewinnerseite zu stehen, niemals zu verlieren, niemals Schwäche zu zeigen oder einzugestehen. Eine kaum zu tragende Bürde.
Es ist, als ob Kell gar kein eigenes Leben hätte. Bereits im Alter von sieben Jahren steckt Vater Jack seinen Sohn in ein eigens gezimmertes Boot und stößt dieses raus aufs unruhige Meer vor Ocean City. Der Siebenjährige soll das Rudern von der Pike auf lernen.
Kell, der im März 1954 mit sechsundzwanzig Jahren heiratet, mit seiner Ehefrau Mary Gray Freeman sechs Kinder hat, wird sich in späteren Jahren von seiner Familie vollständig abwenden und Mitte der siebziger Jahre eine Verbindung mit einer bekannten Transsexuellen Philadelphias, der blonden attraktiven Nachtclub- und Restaurantbesitzerin Rachel Harlow, ehemals Richard Finocchio, leben. Harlow ist etwa in Frank Simons Film The Queen (1968) zu sehen. Kells Liaison ist der größtmöglicheGegensatz zum irischen Katholizismus seiner Familie. Es scheint, als wolle der Sohn nun alles nachholen, was ihm aufgrund der rigiden Erziehung durch den Vater über viele Jahre verwehrt blieb. Im Mai 1981 heiratet er ein zweites Mal, die Bankerin Sandra Worley. John B. »Kell« Kelly Jr. verfällt schließlich mehr und mehr dem Alkohol und stirbt zweieinhalb Jahre nach seiner berühmten Schwester, am 2. März 1985 im Alter von nur siebenundfünfzig Jahren in Philadelphia an einem Herzinfarkt. Der Tod ereilte ihn beim Joggen zum »The Athletic Club«, nach seiner allmorgendlichen Ruderrunde unten auf dem Schuylkill River.
Es ist eine der Tragödien des Clans, der in so vielem und auch hierin dem der Kennedys in Boston, eben jener anderen irischstämmigen Einwandererfamilie, auf durchaus frappierende Weise ähnelt.
Als Grace zur Welt kommt, ist es die Zeit der schweren Finanzkrise Amerikas, die Große Depression setzt ein, als Folge des Börsencrashs an der New Yorker Wall Street, der drei Wochen zuvor, am 24. Oktober 1929, dem Black Thursday , die Finanzwelt in ihren Grundfesten erschütterte. Die Kellys bleiben davon auf fast schon wundersame Art und Weise vollkommen unberührt. Vater Jack hat nicht in die Börse investiert, sondern in Staatsanleihen. Und er betreibt sein Bauunternehmen Kelly for Brickworks konsequent weiter. Ein Kelly lässt sich selbst von einem Börsencrash nur wenig beeindrucken.
Graces Konstitution ist von Kindesbeinen an nicht die beste, sie ist jenes der vier Kelly-Kinder, welches den gestrengen Eltern mithin am meisten Sorge bereitet. Fragil und filigran ist die kleine schmale Gracie, wie sie von allen nur gerufen wird, und ob ihrer labilen Physis oftmals krank. Erkältungen fängt sie sich als Erste im Hause ein und trägt sie am längsten mit sich herum. Grace, die mittlere der drei Schwestern – der nach der Geburt von Lizanne am wenigsten Aufmerksamkeit von allen vier Kindern geschenkt wird –, entwickelt seit ihren frühen Kinderjahren eine Anfälligkeit für Stirnhöhlen- und Mittelohrentzündungen sowie für starke Erkältungen. Etwas, was sie auch in späteren Jahren im Fürstentum Monaco, neben Migräne, immer wieder beeinträchtigen wird. Oft liegt sie als Kind in der Henry Avenueoben im Bett, weil sie wieder kränkelt, wieder etwas ausbrütet. »Worüber heult Grace denn jetzt schon wieder?«, 49 ist so manches Mal die ungehaltene Reaktion von Jack Kelly gegenüber seiner Frau Margaret, wenn etwas mit seiner mittleren Tochter ist.
Als Grace wieder einmal von einer ihrer beiden Schwestern geärgert wird und in einen Wandschrank gesperrt wird, fällt dies zunächst gar niemandem auf. Niemand in der Familie vermisst Gracie. Derweil sitzt
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