Graciana - Das Rätsel der Perle
keinem Wort und keiner Geste Überraschung verriet, begann es Graciana zu dämmern, dass sie sich erneut Schwierigkeiten eingehandelt hatte. Sie fuhr herum und starrte den Kerl im Lederwams empört an.
»Du bist kein Lohnkutscher?«
»Was für ein kluges Frauenzimmer du bist ...«, meinte er überheblich.
»Weshalb hast du mich mitgenommen?«
»Weil ich den Auftrag hatte, dich zu suchen! Es war sehr freundlich von dir, dass du mir keine großen Schwierigkeiten gemacht hast. Wenn du weiterhin so gehorsam bleibst, wird dir nichts geschehen!«
Graciana hatte ihre Zweifel, behielt sie aber für sich. Vor allem, als sie eine andere nur zu bekannte Stimme vernahm.
»Ist das die Frau?«
»Sie ist es!«
Graciana erkannte Gordien, den Söldner-Hauptmann auf den ersten Blick wieder. Ihre Gedanken überschlugen sich. Wie war das möglich? Konnten sie ihr seit Auray gefolgt sein?
»Steig ab, Mädchen«, befahl er, und als Graciana sich nicht rührte, fügte er hinzu: »Du hast keine andere Wahl!«
Nun, es schien, als hätte er recht. Graciana schob die schweren Decken zurück und richtete sich zögernd auf. Sie sprang vom Wagen und hielt sich mit der Hand an der Ladekante fest. Das grobe, rissige Holz schenkte ihr für einen Moment die Illusion von Sicherheit. Als könnte sie eine Planke herausreißen und dem Kerl damit auf den Kopf schlagen. Sie entdeckte zu ihrer eigenen Überraschung, dass sie keinen Moment zögern würde, Gewalt anzuwenden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte, und dass es ihr sogar Vergnügen bereiten würde.
Wenn der Hauptmann von ihr Fragen, Klagen oder Tränen erwartet hatte, so sah er sich enttäuscht. Das Mädchen in dem verblichenen Wollkleid, das nach der Fahrt unter den Pferdedecken nicht mehr ganz so ordentlich aussah, stand völlig ruhig da und wartete. Wäre es nicht absurd gewesen, hätte er sogar behauptet, dass in den hellen, glänzenden Augen sogar so etwas wie eine Drohung stand.
»Verschwinde!«, fuhr er den Fuhrknecht an, der mit leichtem Bedauern zu seinem Opfer sah. Hatte er Mitleid mit ihr? »Du weißt, wo du den Karren hinbringen sollst!«
»Was wirst du mit ihr tun?«
»Du kennst die Befehle!«
»Dann halte auch du dich daran!«
Obwohl der Mann auf dem Fuhrwerk seine Stimme um keine Nuance hob, klang eine so unmissverständliche Drohung darin mit, dass sich der Hauptmann unwirsch abwandte. Er riss Gracianas Hand vom Wagen, und ein kleiner Holzsplitter fuhr ihr schmerzhaft in den Daumen. Sie befreite ihre Hand und führte sie zum Mund, um die kleine Wunde auszusaugen.
Es war eine ganz instinktive kindliche Geste, aber der Söldnerführer nahm sie für ein weiteres Zeichen von Kaltblütigkeit. In mürrischem Respekt verzichtete er darauf, sie zu fesseln, wie er es eigentlich vorgehabt hatte.
»Komm mit!«
Er packte Graciana und zog sie durch das Dickicht. Die anderen Männer folgten ihnen. Zweige schlugen ihr entgegen. Sie konnte kaum noch etwas erkennen, und der Wald schloss sich wie eine unüberwindliche Mauer aus himmelhohen grünen Wänden um den kleinen Trupp.
»Wohin?«, erkundigte sie sich ebenso knapp.
»Das wirst du noch früh genug sehen«, schnauzte er sie an.
Graciana ballte in aufflammender Wut die Fäuste. Was hatte das alles zu bedeuten? Weshalb machten sich diese Männer die Mühe, einer ausgerissenen Magd durch die halbe Bretagne zu folgen? Weshalb hatte man sie auf diese heimliche, verstohlene Art aus Lunaudaie entführt? Denn eine Entführung schien es gewesen zu sein, bei der sie so freiwillig und einfältig mitgeholfen hatte. Ob man in der Burg ihre Abwesenheit bereits bemerkt hatte? Und wie würde Kérven darauf reagieren? Für einen Moment überlegte Graciana den Gedanken, ob er sich wohl auf sein Streitross schwingen und ihr folgen würde, dann verzog sie bitter den Mund. Wahrscheinlich war er einfach nur erleichtert, dass er sie losgeworden war.
Und suchte sich schnell einen Ersatz für weitere kleine Spielchen im Pferdestall. Sophie vielleicht, die ihm ja schon immer schöne Augen gemacht hatte.
Die bloße Vorstellung entlockte Graciana einen Laut, der sich wie das Fauchen eines wütenden Raubtieres anhörte. War es möglich, dass sie trotz ihrer beschämenden Lage auch noch Eifersucht auf eine Putzmagd empfand? Brauchte sie noch weitere Beweise dafür, dass sie völlig den Verstand verloren hatte?
12. Kapitel
Sie ist fort!«
Ludo de Mar, der Knappe des Seigneurs von Lunaudaie, ließ die Nachricht wie einen Peitschenschlag durch die
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