Graciana - Das Rätsel der Perle
verheimlichen.
»Erzählt uns endlich von diesem Zauberwesen, das Euch in seinen Bann geschlagen hat«, forderte er ihn wenige Tage später neugierig auf. Auch den anderen Rittern war Kérvens Suche aufgefallen.
»Ihr täuscht Euch, ich ...«
Die Männer und der Herzog begannen zu lachen.
»Ihr sucht ein hochgewachsenes, sehr schlankes Mädchen mit hellen, braunen Augen und Haaren wie goldgesponnener Flachs«, sagte Théry de Vanery und hob die Hand, als der Seigneur des Iles ihn unterbrechen wollte. »Nein, leugnet es nicht. Meine Verlobte hat mir erzählt, dass alle Damen der Herzogin vor Neugier ganz aus dem Häuschen sind. Das Eigenartige scheint jedoch zu sein, dass Ihr Euch nicht entscheiden könnt, ob Ihr diese Fee unter den Hofdamen oder unter den Mägden suchen sollt. Ihr werdet uns das Rätsel lösen müssen, Kérven! Wollt Ihr allen Ernstes behaupten, Ihr wisst nicht, wer sie ist?«
Kérven ließ den Blick über die Gesichter in der fröhlichen Runde schweifen. Olivier de Clisson war darunter, ebenso der Seigneur de Chandos, dessen englische Krieger den Anspruch des Herzogs unterstützt hatten, und andere, denen er sein Leben in jedem Kampf anvertraut hätte. Männer, die wie er der Bretagne den Frieden wünschten.
Schließlich schaute er ins Feuer. Die gelben Flammen, die über die mächtigen Scheite im Kamin tanzten, erinnerten ihn an Gracianas Augen. Augensterne, die man nicht vergaß, wenn man sie einmal erblickt hatte.
»Ich weiß lediglich, dass sie Graciana heißt«, begann er mit heiserer Stimme, und die Männer beugten sich näher zu ihm, damit ihnen keine Silbe entging. »Ich habe sie zum ersten Male vor der Mühle von Auray entdeckt, wo sie offensichtlich von den Männern Paskal Cocherels festgehalten wurde. In jener Nacht nach der Schlacht ging es drunter und drüber, und es gelang ihr, den Söldnern aus eigener Kraft zu entfliehen. Ich brachte sie in Sicherheit, und sie blieb aus freier Entscheidung an meiner Seite.«
»Aber offensichtlich ist sie Euch ebenso entwischt wie diesem wüsten Haufen«, schmunzelte der Herzog, den die gereizte Ratlosigkeit eines Mannes amüsierte, der auf dem Schlachtfeld keine Furcht und keinen Zweifel kannte. »Sehe ich das richtig?«
Kérven nickte düster.
»Ihr konntet nicht in Erfahrung bringen, woher sie kam und aus welcher Familie sie stammt?«, forschte Théry de Vanery gespannt.
»Sie hüllte sich in Schweigen und hat keine meiner Fragen beantwortet, aber ...« Kérven zögerte und sprach dann doch weiter. »Sie spricht und bewegt sich wie eine Dame. Je nach Laune benimmt sie sich wie eine Nonne, dann wieder wie eine Kriegerin. Sie ist offensichtlich des Lesens und des Schreibens mächtig und weiß einen großen Haushalt zu führen. Doch niemand scheint jemals ihren Namen gehört zu haben, und es gibt keine Familie von Rang, die eine Tochter dieses Namens hat.«
»Nein ... ich wüsste auch nicht ...« Der Herzog runzelte die Stirn, von dem Rätsel fasziniert. »Graciana, wie seltsam und ungewöhnlich ...«
»Ich kannte einmal ein Mädchen mit diesem Namen«, mischte sich in diesem Moment überraschend der Waffenmeister des Herzogs in das Gespräch ein.
Pol de Pélage war ein grauhaariger, schweigsamer Hüne, von dessen Heldentaten die jungen Ritter noch heute bewundernd sprachen. Die Narben unzähliger Kämpfe zeichneten sein Gesicht, und niemand hatte ihn bisher jemals mit einer Frau in Verbindung gebracht. Er galt als Kämpfer, Hagestolz und nur dem Herzog ergeben.
»Sprecht, Pol!«, forderte Jean de Montfort ihn auf, und für einen Moment sah es so aus, als wolle sich der wortkarge Krieger weigern.
Dann jedoch nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Silberbecher und blickte Kérven an. »Es muss inzwischen gute fünfundzwanzig Jahre her sein. Ich stand vor meiner Eheschließung mit einem reizenden Edelfräulein, das mir schon im Alter von zwölf Jahren anverlobt worden war. Mit sechzehn sollte sie vor den Altar treten, und die Vorbereitungen für diese Hochzeit wurden bereits getroffen. Zwei Tage vor meinem Eintreffen wurde die Burg ihres Vaters von marodierenden Söldnern überfallen. Niemand hat dieses Massaker überlebt, zumindest nahmen wir das an, obwohl wir die Leiche meiner Verlobten niemals fanden. Ihr Name war Graciana de Cesson! Ein Name, der zu ihr passte, als wäre er für sie geschaffen worden. Sie war schmal, feingliedrig, goldhaarig, blauäugig und so sanft wie das Lächeln eines Sonnenaufganges!«
Die poetischen Worte
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