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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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man im Dunkeln findet …«
    »Was haben die Hundersinger mit dem Synagogenbrand zu tun gehabt?«
    »Der Lehrer dort hat die Kinder ein Lied singen lassen. Vater hat’s gehört. Ein Loblied. Die Synagog’ isch abbrennt, halleluja. Keine Ahnung, woher der Lehrer das hatte. Hundersingen war voller Nazis. Und den Rabbi haben sie an seinem Bart aus dem Haus gezogen. Aber Vater und der junge Lindauer, der Bürgermeister, ein Jude als Bürgermeister, zu dieser Zeit, stell dir vor, die haben also die Feuerwehr geholt und den ersten Brand gelöscht.«
    »Den ersten Brand? Wieso? Sind die zweimal gekommen?«
    »Waltz hat das alles in seinem Archiv, weißt. Beim ersten Mal hat die Feuerwehr gelöscht. Die Nazis haben zuschauen müssen und sind abgezogen. Dann sind sie am nächsten Tag mit Verstärkung wiedergekommen. Diesmal war die SS dabei, glaub ich. Und da war der Lehrer von Hundersingen mit seinen Kindern da. Kinder, verstehst. Die wissen doch gar nicht, was sie da singen.«
    Jetzt ist Veronika fertig und wischt sich die Hände an einem Handtuch ab. Sie steht auf und läßt die Schüssel auf der Drehscheibe.
    »Schön geworden, das«, sagt Mauser.
    Sie geht zu ihm und will sein Gesicht in ihre Hände nehmen. Das macht sie immer, bevor sie ihn küßt. Er dreht das Gesicht weg. Sie setzt sich neben ihn auf die Bank und streicht ihm über den Kopf. Er fühlt sich wie ein kleiner Junge, für einen Augenblick. Aber Veronika ist nicht sein Vater. Veronika kann ihm nichts über Recht und Unrecht sagen, Veronika, die immer israelitisch statt jüdisch sagt und von multikultureller Zusammenarbeit redet, wenn Käufer kommen.
    Tränen treten ihm in die Augen. Er blinzelt.
    »So große Wohnhäuser hat es nirgends auf der Alb gehabt«, sagt er und muß sich räuspern, weil seine Stimme belegt ist. »Mehrstöckig. Das haben die Hundersinger nicht gekannt. Türmchen und Erker dran, siehst ja noch die Realschule. Handwerker und Bernheimers Strickereien. Die Zigarrenfabrik. Und Vater hat auf alles das aufgepaßt. Recht und Unrecht. Ich frag mich, ob er jemals jemanden hat erschießen müssen. Als Polizist, mein ich.«
    »Was hast du denn?«
    »Laß mich«, sagt Mauser traurig und nimmt ihre Hand von seiner Wange. »Nicht anfassen.«
    Veronika legt die Hände in ihren Schoß, auf die fleckige Schürze. Hilflose Hände. Ruhend in ihrer Ohnmacht. Sollen lieber wieder Ton formen, Gestalten machen, bereit aufzunehmen.
    »Hast du deine Schwester gut gekannt?«
    »War acht, als sie sie abgeholt haben. Wir haben zusammen gespielt. Mutter hat mir immer gesagt, Mutz ist zwar groß, aber sie versteht wenig. Du kannst mit ihr spielen wie mit deinen Freunden, hat sie gesagt.«
    »Was hat sie denn gehabt?«
    »Zurückgeblieben, hat es geheißen. Heute hat man dafür ein anderes Wort. Ich wüßt gern, was die in ihrem Attest geschrieben haben. Ob da schon der Spruch vom unwerten Leben draufgestanden hat.«
    »Von dem Attest hast du mir schon erzählt.«
    »Vater hat mir davon nichts gesagt. Als sie mit dem Papier kamen, hab ich’s nicht verstanden. Erst später haben es mir die anderen verraten. Aber um Mutz geht’s ja gar nicht. Um Mutz geht’s nicht …«
    Er steht auf und verläßt die Werkstatt. Er kann es mit Veronika nicht aushalten. Er wünschte, sein Vater wäre hier und könnte ihm alles erklären. Wie er als Kind ihm immer alles erklärt hat. Er geht allein durchs Dorf und erinnert sich. Wie er mit Vater spazieren gegangen ist, sonntags, ohne Uniform. Wie Vater auf die Häuser gezeigt und erklärt hat, wer dort wohnt und seit wann und wie lange sie dort schon wohnen. Die Zugezogenen, die Ansässigen. Er hat ihm die Menschen erklärt und ihren Stand, ihre Ehrenhaftigkeit, ihre Rechtschaffenheit oder auch nicht. Vater kannte jeden und wußte von jedem, wie es um ihn beschaffen war. So sollte er jetzt auch durchs Dorf gehen können. Aber die Leiche hat alles verändert. Jeder kann damit zu tun haben, jeder kann seine Ehre verlieren.
    Zu Hause im Keller holt er die Pistole aus dem Versteck und hält sie in der Hand. Er hat sie immer gut gepflegt. Sie glänzt vom Waffenöl, der Griff ist ein wenig abgeschabt, das Metall am Lauf zerkratzt. Mit Waffen kennt er sich aus. Im Dorf wissen das alle. Von der P 04 wissen sie nichts. Vaters Vermächtnis. Parabellum. Wenn du Frieden willst, rüste für den Krieg. Mit kürzerem Lauf zur P 08 weiterentwickelt. Aus der Sieben-Komma-sechs-drei Mauser machten sie später die Luger neun Millimeter. Nomen est

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