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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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omen. Warum heißen wir gerade Mauser? Ordonnanzwaffe. Eine Recht-oder-Unrecht-Pistole. Mauser nimmt sie in die Hand, schließt fest die Finger um den Griff. Legt den Zeigefinger auf den Abzugshebel. So muß man das Recht in die Hand nehmen. Er versucht sich zu erinnern, wie Vater sie in der Hand gehabt hat. Eigentlich komisch, daß ich mich an seine Dienstwaffe als Polizist kaum erinnern kann. Vielleicht, weil sie immer im Halfter war. Aber die P 04 hat er immer herausgeholt, wenn er etwas außer Dienst tat. Vielleicht läßt sich das Unrecht nur außer Dienst bekämpfen.
    Privat, unter Ausschluß der Autoritäten. Mauser zielt auf das Kellerfenster. Gern würde er den trockenen Knall hören. Einfach abdrücken. Die Hülse auswerfen sehen.
    Was hat Vater mit dieser Waffe getan?
    Der tote Mensch in der Höhle erzählt es.
    Er muß Unrecht getan haben.
    Er war das Böse. Das Geheimnis des Bösen. Liegt da in seinem Anzug im Lehm und schläft. Warum hab ich ihn entdeckt? Warum liegt er nicht noch immer da und schläft, bis in eine Zeit, wenn ich längst tot bin?
    Aber ich muß ja immer in den engsten Löchern herumkrauchen, sagt er sich und lächelt bitter. Ich muß ja immer alles herausfinden.
    Er packt die Waffe weg, schließt die Lade. Gut, daß hier niemand hereinkommt. Der Keller. Die Werkstatt. Wo er sein Moped auseinandernimmt, jedes Jahr. Wo er die Waffe auseinandernimmt, und keiner weiß es, außer Veronika. Wo er alles zur Hand hat, was er braucht. Zum Auseinandernehmen. Zum Zusammenbauen. Und hinterher ist es wie neu, funktioniert wieder.
    Er schaut sich im Keller um. Ein wenig ist das wie eine Höhle. Die Zeit steht still hier drin. Vielleicht bin ich deshalb so gern hier. Ich sollte mal eine Kugel abfeuern, denkt er. Vielleicht stammt sie ja gar nicht aus Vaters P 04.

7
    Ein graugrüner Mannschaftswagen fährt im Dorf vor. Er hält am »Pflug«. Der Kommissar kommt heraus und bespricht sich mit dem Einsatzleiter. Wieder wird Mauser gebraucht. Gut, daß Ferien sind. Mauser könnte sich gerade nur schwer auf den Unterricht konzentrieren. Zuviel geht ihm im Kopf herum. Mauser schaut aus dem Fenster und sieht die Männer in den graugrünen Uniformen vor seinem Haus. Jetzt wird’s Tag, denkt er. Jetzt kommt alles ans Licht.
    Er begrüßt den Einsatzleiter mit Handschlag. Der drückt ordentlich zu.
    »Sie sind der Mann, der die Leiche gefunden hat?«
    »Kennen Sie sich mit Höhlen aus?« Mauser muß etwas fragen, sonst nehmen ihm diese Männer alles aus der Hand.
    »Das lassen Sie unsere Sorge sein.«
    Er steigt beim Kommissar in den Wagen und fährt mit zum Parkplatz unterhalb der Höhle. Die Männer quellen aus dem Mannschaftswagen wie Ameisen, verstreuen sich nach allen Seiten. Gerät wird aus dem Laderaum geholt. Mauser sieht eine schwere Batterie, isolierte Kabel, Scheinwerfer, einer hat ein Metallsuchgerät, das erkennt Mauser sofort. Die nehmen meine Lehmkammer auseinander, denkt er verzagt.
    Mauser geht voraus. Im Kriechgang will er sich nach dem Einsatzleiter, der direkt hinter ihm ist, umdrehen, aber der braucht keine Hilfe. Er sagt kein Wort, zieht die Kabel nach und das Gepäck, das er übernommen hat. Hinter ihm stecken fünf weitere Männer im Gang, es ist ein Scharren und Schlurfen, als fände hier drin ein Volksfest statt. Nichts ist mehr von der Stille zu spüren. Die tote Vergangenheit wird aufgewühlt und löst sich auf, jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Leiche enthüllt wird. Aber die Geschichte ist unsichtbar, sie läßt sich nicht aufstören, sie zieht sich wie ein Fadengespinst durch den Berg, und er, Mauser, knüpft schon daran. Mittlerweile hat sich das Geheimnis zurückgezogen bis in die letzte Kammer. Vielleicht kommen sie doch nicht rein, denkt Mauser.
    Das Gerät durch die Engstelle am Spalt hindurchzubringen ist schwieriger. Kurzerhand wird der Spalt mit ein paar Meißelschlägen erweitert. Mauser tut das weh. Das ist bloß ein Einsatz für die, denkt er. Einer wie jeder andere. Das sind die gewohnt. Es geht um Spurensicherung, da braucht man keinen Sinn für Höhlen. Am liebsten würde er sie zur Stille mahnen. Am liebsten hätte er sie als eine stumme, andächtige Schar hier hereingeführt, aber das ist vorbei.
    In der Halle sammeln sie das Gerät. Die Scheinwerfer, die Kabel, den Detektor, Metallkoffer. Probeweise werden die Scheinwerfer angeschlossen, sie werden von der Batterie draußen mit Strom versorgt und tauchen plötzlich die Halle in grelles Licht. Mauser

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