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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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kneift die Augen zusammen. Die Öffnung mit dem Zugang zur Lehmkammer gibt einen Schlagschatten.
    »Da geht’s rein«, sagt Mauser.
    »Wie verläuft der Gang?« wird er gefragt.
    Es ist nicht nötig, daß Mauser mitkommt. Nun, nachdem sie wissen, wo der Mensch liegt, brauchen sie ihn nicht mehr. Der Einsatzleiter kriecht voraus, im Schlepptau einen Koffer und einen zweiten Scheinwerfer. Die anderen verschwinden nacheinander in dem engen Schluf, schieben Gepäck vor sich her oder ziehen es an Seilen hinterher. Drinnen werden sie die Scheinwerfer auf zusammenklappbaren Stativen aufstellen und jeden Winkel ausleuchten. Vielleicht sollte ich mit. Dann könnte ich mir die Kammer noch einmal genauer anschauen. Vielleicht gibt es ja doch einen zweiten Zugang. Aber ich will nicht, denkt Mauser. Jetzt, wo die da alle drin sind mit ihrem ganzen Krempel und herumkrauchen und jeden Stein umdrehen, jetzt ist der tote Mensch erst wirklich tot. Ein Stück organischen Abfalls. Nichtssagend und jämmerlich. Ich will ihn nicht mehr sehen.
    In der Kammer scheint es eng zu werden, denn einer der vier kommt zurück.
    »Es geht«, sagt er zum Kommissar. »Wir bringen das ganze Gerät hinüber. Der Vertikalknick ist breit genug.«
    »Was machen die jetzt da drüben?« fragt Mauser den Kommissar. Der sitzt vor dem Zugang in seinen Dreckkleidern und hört sich an, was der vierte Mann zu sagen hat.
    »Wir nehmen alle Spuren auf, die es gibt«, sagt der Kommissar ins Loch hinein. »Mit einem Sonargerät suchen wir die Wände ab nach einem zweiten Zugang. Mit dem Detektor suchen wir die Kugel. Sonst das Übliche: erste Untersuchung der Leiche. Blutspuren. Spuren am Anzug. Und dann transportieren wir sie ab.«
    »Wie wollen Sie das anstellen?« fragt Mauser. Das ist das letzte Hindernis. Vielleicht müssen sie ihn hierlassen. Wenn sie ihn durch den Schluf ziehen, zerbröselt er ihnen unter den Händen. Dann gibt’s nichts mehr für die Obduktion.
    Doch Greving hört ihm nicht zu. Er kniet vor dem Loch und starrt hinein. Mauser fällt die Klaustrophobie ein. Der macht sich bereit zum Reinkriechen, denkt Mauser. Der hat jetzt mit sich selber zu tun.
    Tatsächlich verschwindet Greving in dem Zugang. Irgendwo dahinter kommt er wieder heraus und knetet seine Finger, hat Schweiß auf der Stirn. Wird ganz schön eng, wenn da vier Leute in der Kammer rumoren.
    »Kommen Sie bitte nach, Herr Mauser«, sagt es auf einmal aus dem Loch.
    Mauser zuckt die Schultern und folgt.
    Der Zugang ist jetzt bloß noch eine zurückzulegende Strecke bis zum Schauplatz. Licht schimmert durch den kurzen Kamin herein. Polternde Geräusche, Stimmen. Als Mauser in die Kammer gelangt, ist alles taghell erleuchtet. An der Wand arbeitet ein Mann mit dem Sonar. Ein anderer kniet über die Leiche gebeugt. Greving steht leicht gebückt, obwohl er aufrecht stehen könnte hier drin. In einer Ecke hat ein vierter den Detektor ausgefahren und sucht den Boden ab.
    Greving deutet auf die Leiche.
    »Liegt der Tote noch so, wie Sie ihn gefunden haben?« fragt er.
    Mauser nickt. Tritt näher, schaut ihn sich noch einmal an. Ein elendes Knochengestell. Eine abgezehrte Mumie mit dem kahlen Tod im Gesicht. Nichts weiter.
    »Ja, alles noch so.«
    »Was haben Sie getan, als Sie ihn entdeckten?« fragt Greving. Sein Gesicht glänzt vor Schweiß, aber er läßt sich nichts anmerken.
    »Passen Sie auf, wo Sie hintreten«, sagt ein Mann hinter ihm. »Wir haben noch nicht alle Fußspuren.«
    »Da werden Sie außer meinen keine finden«, sagt Mauser. »Der Lehm war ganz glatt, als ich hier reinkam.«
    »Das wird sich zeigen«, meint Greving.
    »Ich hab, glaub ich, den Kopf ein bißchen angehoben und ihm in den Kragen geguckt.«
    »Was haben Sie da gesucht?«
    Jetzt wird es doch ein Verhör. Mit all den Leuten um ihn herum weiß er, daß er nichts sagen kann. Nichts von der konservierten Zeit. Nichts von seinem Vater, von der Stille, in der die Vergangenheit zu ihm sprach.
    »Das Anzugsetikett«, antwortet Mauser.
    »Das Anzugsetikett«, sagt der Mann, der sich über die Mumie gebeugt hat. »Gminder KG, Reutlingen steht da.«
    »Wieso wollten Sie das Anzugsetikett sehen?« fragt ihn Greving und schaut ihn nicht an dabei.
    »Na ja, mir ist der altmodische Schnitt aufgefallen. Und außerdem ist’s ja komisch, wenn so einer in einer Höhle einen Anzug anhat, oder?«
    Sie haben alle Handschuhe an. Ihre Hände sind weiß und bleich, sie können alles anfassen, ohne davon berührt zu werden.

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