Grafeneck
Teil sind es die alten Kunden, ist das nicht drollig?«
»Ihre Schalen sind schön«, sagt Greving. »Angenehme Formen. Sie tun dem Auge wohl.«
»Danke sehr.« Sie nimmt das Lob an, als sei sie daran gewöhnt. Trotzdem tut es ihr gut, das sieht Greving. »Ich hab eine Zeit lang in Schweden gelebt. Da hab ich den Sinn für Rundungen gelernt. Von den schwedischen Glasbläsern, ob Sie’s glauben oder nicht.«
»Was verbindet Sie mit Herrn Mauser, wenn ich fragen darf? Es besteht ja wohl ein Altersunterschied zwischen Ihnen …«
»Fünfzehn Jahre. Aber das spielt keine Rolle zwischen uns. Außer daß er bald pensioniert wird. Dann haben wir mehr Zeit für uns. Tja,« sagt Veronika und nimmt einen Keks aus der Schale, »was ist es, das uns verbindet? Ich binde mich selten eng, ich binde mich nicht oft. Ich brauche meine Freiheit, muß arbeiten können, aber ich brauche auch einen Rückhalt, einen Menschen, der für mich ein Stück weit ein Zufluchtsort ist. Verstehen Sie? Hermann ist ein besonderer Mensch. Ich mag die Ruhe an ihm, seine Gründlichkeit. Er denkt anders als die Menschen hier, er ist mit dem Ort auf eine Weise verbunden wie kein anderer. Das versteht niemand. Ich manchmal auch nicht, um ehrlich zu sein. Aber das ist es, was ich an ihm mag. Er ist treu, wenn Sie wissen, was ich meine. Nicht nur, was andere Frauen angeht. Er ist treu aus einer Grundgesinnung heraus.«
»Ein aufrechter Charakter«, meint Greving und nimmt sich auch einen Keks. Einige Augenblicke lang hört man nur das Brechen des Gebäcks, das Mahlen der Zähne.
Veronika lacht, als hätte sie über Grevings Ausdruck nachgedacht. »Aufrecht, das trifft es.«
»Sie wissen über die NS-Vergangenheit des Ortes Bescheid, Frau Baader?«
»Hier und da. Was ich weiß, hat mir Heinrich Waltz erzählt. Er pflegt den israelitischen Friedhof und weiß alles über das damalige Leben …«
»Heinrich Waltz. Ah ja.« Greving notiert sich den Namen in seinem Gedächtnis. Der saß doch gestern auch beim Kartenspielen dabei.
»Wir haben auf dem Rücken der Leiche ein Kreidekreuz auf dem Anzug gefunden, ich weiß nicht, ob Herr Mauser Ihnen das erzählt hat.«
»Nein, davon weiß ich nichts. Er ist heute früh weggefahren. Mit dem Moped.«
»Sagt Ihnen das etwas? Sind irgendwelche Opfer des Nazi-Regimes mit Kreidekreuzen gekennzeichnet worden, bevor man sie verschleppte?«
Veronika zuckt die Schultern. »Tut mir leid, das weiß ich nicht.«
»Haben Sie sonst irgendeine Idee, was das Kreuz bedeuten könnte? Vielleicht hat es ja mit den Nazis gar nichts zu tun.«
»Nein, tut mir leid. Da kann ich Ihnen nicht helfen.«
»Schade.« Greving nimmt einen Schluck Tee und schiebt sich den restlichen Keks in den Mund. Er wartet. Veronika scheint in Gedanken versunken. Sie denkt an ihren Hermann, weiß Greving. Sie folgt ihm in Gedanken auf seinem Ausflug. Sie fragt sich, was in ihm vorgeht. Denn es geht etwas in ihm vor. Seit er diesen Leichenfund gemacht hat. Irgendein Zusammenhang besteht, irgend ein Faden hat sich an ihn geknüpft, der läßt ihn zappeln wie einen Fisch am Haken.
Sie unterhalten sich wieder über die Töpferei. Veronika ist der Ansicht, daß Kunst immer die Formen der Natur nachahmt. Mimesis sagt sie. Die Schale, in der die Kekse liegen, hat Veronika auch selbst gemacht.
»Sieht fast ein wenig griechisch aus«, sagt Greving.
»Griechisch? Das hat noch niemand gesagt …«
»Welche Hobbys hat eigentlich Herr Mauser? Ich meine außer Höhlenerkundungen.«
»Für einen anderen Mann würde das schon reichen. Er schraubt gerne an seinem Moped herum, aber das ist kein Hobby. Fahren tut er gern. Und er kennt sich mit Waffen aus.«
»Ach?«
»Das kommt wahrscheinlich von seinem Vater her. Hermann hat noch eine alte Pistole aus der Kaiserzeit. Soviel ich weiß, hat die seinem Vater gehört. Er pflegt sie sorgfältig. Einmal im Vierteljahr baut er sie auseinander und reinigt alles. Er ist kein Waffennarr, er schießt nie damit. Obwohl er im Schützenverein ist und einen Waffenschein hat.«
»Warum liegt ihm so viel an dieser Pistole?«
»Hermann hat seinen Vater verehrt. Er war Polizist.«
»In welcher Zeit war das?«
»Schon vor den Nazis. Er hat seinen Posten behalten, als der ganze Spuk begann. Es war nicht leicht für ihn. Einerseits hat er sich dem Gesetz verpflichtet gefühlt, andererseits war er ja gewissermaßen Diener eines Unrechtstaates. Hermann erzählt immer, wie sie im Dorf Widerstand geleistet haben …«
»Ja, die
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