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Grafeneck

Titel: Grafeneck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Gross
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Geschichte mit dem SA-Sturmtrupp habe ich auch schon gehört. Im Dorf erzählt man sie gern, habe ich den Eindruck. Selbst Leute, die damals noch Kinder waren.«
    »In Buttenhausen gab es keine Nazis, heißt es immer. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber sicher ist Buttenhausen durch seine israelitische Tradition anders gewesen als die übrigen Albdörfer.«
    »Haben Sie die Pistole von Herrn Mauser schon einmal gesehen?«
    »Ja. Er bewahrt sie irgendwo im Keller auf. Ich interessiere mich nicht für solche Sachen. Er hat sie mir einmal gezeigt, als er von seinem Vater erzählt hat.«
    »Ein aufrechter Charakter«, sagt Greving und läßt sich von Veronika Tee nachschenken. »Und einer, der sich für die Vergangenheit interessiert, habe ich den Eindruck.«
    »Die Vergangenheit? Wie meinen Sie das?«
    »Na, Vor- und Frühgeschichte. In Höhlen kann man doch, wenn man Glück hat, allerlei finden.«
    »Nein, das nicht. In Höhlen hat er noch nie etwas gefunden. Aber an alten Burgstellen und in Ruinen, da sucht er manchmal. Mit seinem Metallsuchgerät hat er schon einen römischen Sohlennagel gefunden. Er hat ein ganzes Regal mit Fundstücken. Wissen Sie, da kann ich ihn gut verstehen. So ein kleines, unscheinbares Ding kann eine ganze Geschichte erzählen.«
    Ein Metallsuchgerät, denkt Greving. Sieh mal einer an.
    »Lassen Sie sich mal seine Fundstücke zeigen, wenn Sie bei ihm sind«, sagt Veronika. »Das ist wie im Museum. Sie werden staunen.«
    »Danke für den Tip«, sagt Greving. Seine Ahnung hat ihn nicht getrogen. Mauser hat irgendetwas mit dem Toten zu tun. Sicher ist er nicht der Täter, aber er weiß etwas, das er nicht preisgeben will. Greving verabschiedet sich von Veronika und geht über die Hauptstraße am Gasthof vorbei. Er weiß nun, was er zu tun hat. Aber nicht gleich. Es braucht noch ein bißchen Zeit.

11
    Als Heinrich Waltz die Haustür öffnet, hat er erwartet, daß Greving davorsteht. Es mußte so kommen. Er nickt und bittet ihn herein. Sie steigen die Treppe hinauf, Waltz führt den Kommissar in die Stube. Bietet ihm Platz an. Sie sitzen sich am Stubentisch gegenüber, Waltz spürt, daß Greving ihn beobachtet, und weicht seinem Blick aus.
    »Sie wollen sicher was über die Judendeportationen wissen«, sagt Waltz.
    »Sie leben allein?« fragt Greving und schaut sich in der Stube um. Auch dieses Haus ist wie die anderen gebaut, Garage und Werkstatt im Erdgeschoß, Wohnzimmer und Küche im ersten Stock, Schlafzimmer im zweiten. Steile Treppen, niedrige Decken. Es ist aufgeräumt bei Heinrich Waltz. Wo er wohl sein berühmtes Archiv hat?
    »Ja. Meine Frau, die ist gestorben. Seither bin ich allein.«
    »Mit dem Archiv haben Sie sicher eine Aufgabe gefunden, oder?«
    »Mit dem Friedhof, ja. In den ersten Jahren, da hat mir das geholfen. Man grübelt sonst ja vor sich hin. Das ist nicht gut.«
    Grevings Blick fällt auf das Sofa. Die Kissen haben Rüschenbezug, das Fensterbrett ist vollgestellt mit Nippes. Vielleicht Erinnerungen. Waltz lebt hier nicht mehr, denkt Greving. Er lebt in seinem Archiv. Diese Stube hier, denkt Greving, ist noch von seiner Frau eingerichtet. Er hat es so gelassen. Er hat sich zurückgezogen zwischen seine Papiere und Zeitungsausschnitte.
    »Machen Sie noch oft Spaziergänge zum Friedhof?«
    »Ich bin oft dort, ja«, antwortet Waltz. Er wartet. Irgendwann kommt der Kommissar auf den Punkt. Dann muß er wachsam sein. Bis dahin kann er warten.
    »Sie sind ja so etwas wie der Heimathistoriker hier«, sagt Greving. »Da geht man mit der Vergangenheit sehr sorgfältig um, nicht wahr? Sammelt, sichtet, geht jeder kleinen Spur nach …«
    »Das gleiche machen Sie doch auch, oder? Jeder kleinen Spur nachgehen.«
    »Der Gegenstand unserer beider Nachforschungen gehört in die gleiche Zeit, vermutlich. Ist das nicht sonderbar? Ich hatte noch nie einen Mordfall aufzuklären, der so lang zurückliegt.«
    »Mord verjährt nicht«, sagt Waltz. »Wollen Sie was zu trinken? Einen Sprudel vielleicht? Einen sauren oder einen süßen?«
    »Nein danke. Ich fahre heute noch nach Reutlingen zurück, um die Ergebnisse der Autopsie und der KTU abzuwarten.«
    »KTU?«
    »Kriminaltechnische Untersuchung. Ich hoffe, in ein paar Tagen wieder hier sein zu können.«
    Ich nicht, denkt Waltz. Von mir aus kannst du wegbleiben.
    »Sie forschen doch auch nach Morden, Herr Waltz, nicht wahr? Ungeklärte Schicksale …«
    »Das Suchen, das ist vorbei. Die Liste ist jetzt vollständig. Ich habe fast alle

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