Grafeneck
springt an. Ein tiefes Bullern, dann legt er den ersten Gang ein und rollt los. Gemächlich fährt er durchs Dorf, dann auf die Hauptstraße, die nach Hundersingen führt. Er folgt der Talstraße und sieht oben am Hang die Ruine, die über den Häusern steht. Dann kommt er nach Bichishausen, wo ein Steig hinauf zu ein paar Höfen führt und weiter nach Ehestetten. Die Lauter mäandert im Talgrund, die Weidendickichte sind noch licht. Im Sommer steht hier das Mädesüß hoch und Kanuten lassen zu Wasser, aber jetzt, im dünnen Frühlingslicht, liegt alles noch verträumt und gläsern. In Gundelfingen sieht er wieder eine Ruine oben im Wald, sie ist größer als die in Hundersingen, Mauser besucht sie gern. Vom Turm aus sieht man das Tal entlang und den Umlaufberg, den die Lauter hat stehen lassen im Lauf der Jahrhunderte. In Anhausen verläßt er das Lautertal, die Talstraße setzt sich noch ein Stück fort und endet dann an einem Wanderweg. In Hayingen ist das Naturtheater, die Saison hat noch nicht begonnen. Von Hayingen aus führt die Straße durch den Hangwald nach Zwiefalten, aber eine Stichstraße zweigt ab und führt hinüber nach Wimsen. Der Ort besteht nur aus der bekannten Wasserhöhle und einem Gasthaus; früher war dort einmal eine alte Mühle.
Mauser ist behaglich unterwegs. Die Maschine läuft gut, er fährt mit niedriger Drehzahl, der Verkehr ist jetzt, nach Ostern, nicht sehr stark. Er fährt jede der Talkurven aus und schaut sich in Ruhe die Gegend an. Die Strecke ist nicht weit, und trotzdem kommt es ihm vor, als sei er weit fort, denn das Tal ist ein Märchenwinkel. Wenn Mauser als Kind umhergestreift ist und nach Höhlen gesucht hat, ist er in die entlegensten Gegenden gekommen. Ganz still und friedlich war es dort, nur die Vögel waren zu hören und das Rauschen der Bäume. Ausflügler gab es damals keine, und die Orte gehörten ihm allein, niemandem verriet er sie.
Am Parkplatz steht ein Reisebus. Es sind noch Ferien, und Ausflüge werden heutzutage gern gemacht. Man hat die Orte nicht mehr für sich. Es ist viel Volk unterwegs an der Wasserhöhle. Mauser fährt mitten hindurch und stellt sein Moped am Gasthaus ab. Bedächtig zieht er aus Stück um Stück und verstaut es in den Koffern. Die Schlösser schnappen. Manche sehen her, er ist der einzige Motorradfahrer. Die ersten Schritte in den Stiefeln auf dem Asphalt, er schaut sich um. Schlendert ein wenig umher, stellt sich harmlos und schaut den anderen zu mit der Sonne im Genick. Keiner weiß, weshalb er hier ist. Keiner kennt sein Geheimnis, an dem er arbeitet. So geht es vielleicht jedem, jeder trägt ein Geheimnis mit sich herum, das die anderen nicht wissen sollen. Eine zufällige Zusammenkunft von Geheimnisträgern. Deshalb läßt heute jeder den andern in Frieden.
Eis am Stiel und Ansichtskarten, die glänzen in der Sonne. Trampelpfade, die blaugrüne Aach am rauschenden Wehr, das Gasthaus wie für Wegelagerer. Im Wald stehen die Schwammstotzen hoch, und oben, drei Kehren hinauf, liegt still und weit das Felderland. Das Völkchen tummelt sich auf der Brücke, an den Tischen, am Steg, wo der Kahn ins Dunkel einfährt. Das Wasser ist gläsern mit goldenem Grund, im wehenden Kraut stehen Fischleiber kühl gegen den Strom. Lichtergenetz, Forellengefleck. Der Strom kommt aus dem Karst und durchläuft unterirdische Gefilde: Schatzkammer, Tropfsteingang, Ehrenfelser See. Das gleichnamige Schloß schenkte der Kurfürst achtzehndrei seinem Minister. Fröhlich fließet Dir nun, liest Mauser auf der Tafel überm Höhlenportal, Friderice fluit. Die Väter tragen ihre Söhne huckepack. Die Mädchen sitzen in Röcken auf dem Geländer. Die jungen Kerle stehen zusammen mit den Lederjacken über der Schulter. Die Mütter zeigen einander ihre nackten Arme. Manche gehen in feinen Schuhen, manche in Wanderstiefeln. Manche warten im Schatten mit Limonadenflaschen. Ein angeleinter Hund kläfft.
Mauser reiht sich ein und wartet. Schließlich rumpelt der Kahn am Steg, und ein junger Mensch lädt zum Einstieg. Ganz vorn am Bug geht es in die schimmernde Dunkelheit, der Grund leuchtet herauf wie Gold. Sie steigen ein.
»Kopf einziehen!« sagt der Fährmann.
Manche kreischen.
Der junge Mensch ist ein arbeitsloser Speläologe und hat einen Ring im Ohr. Er paßt hierher an diesen Ausflugsort, ein Kauz, der sich sein Zubrot verdient, wenn Saison ist. Mauser beginnt mit ihm ein Fachgespräch über die Höhle. Am Umkehrpunkt steigt der Kauz aus und löscht das
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