Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Gemüts, neigte ich mehr und mehr dazu, sie zur Rede zu stellen über ihre Weisheiten bezüglich meiner Person. Ich würde sie schon verdauen; denn sagte nicht der Herr: »Alles, was da feil ist auf dem Fleischesmarkt, das esset und forschet nicht nach, auf daß ihr das Gewissen nicht beschweret.«
Die Stellen über das Essen hatte ich mir immer gemerkt. Und was der Herr so freundlich meinem Magen zuge s tand, das mochte erst recht für meinen Kopf gelten.
Die Barbacane
Montségur, Winter 1243/44
Unter schweigend erbrachtem Blutzoll – auch das hatte Loba die Wölfin dem Hauptmann der Montagnards vo r ausgesagt: »Der Mantel der Nacht bietet keinen Schutz g e gen blinde Geschosse!« – erklommen die Basken den Pas de Trébuchet und erdolchten und erwürgten in erbi t terten Handgemengen dessen Katapultbesatzung. Wä h rend die Verteidiger der Barbacane noch argwöhnisch ins Dunkle gelauscht und sich gewundert hatten, warum das vertraute Zischen und Scheppern der Schleudern so plötzlich ve r stummte, waren die Basken bereits über sie hergefallen. Zu spät ertönte die Alarmglocke. Die Schla f trunkenen wurden niedergemacht, bevor aus der Burg Hilfe kommen konnte.
Als der Tag graute, starrten die Montagnards mit Gra u sen in die senkrecht abfallende Tiefe, die sie in der Finste r nis durchstiegen hatten.
»Der Besitzwechsel der Barbacane richtet sich so schnell gegen uns Verteidiger des Montségur«, beschied oben auf der Burgmauer Bertrand de la Beccalaria seinen Gastgeber fast emotionslos, »wie die Miliz des Monsi g nore Durand braucht, um die adoratrix murorum, sein gigantisches K a tapult, dort in Stellung zu bringen!«
»Wir können sie nicht hindern«, trotzte sich Ramon de Per-elha, der Kastellan, Zuversicht ab, »aber wir werden auch diese Prüfung durchstehen.«
Bald donnerten hundert Pfund schwere, roh behauene Granitkugeln gegen die Burg. Die über vier Meter dicke Ostmauer hielt stand, aber das auf ihr errichtete Gebälk des Observatoriums wurde sofort zerfetzt, und die im Hof da r unter liegenden Dächer wiesen immer mehr Löcher auf.
›In Abständen eines hastig heruntergebeteten Rosen k ranzes‹ – so der Spott des Kastellans – fauchten die G e schosse heran. Gefolgt von krachenden Einschlägen, wenn sie ein hölzernes Ziel fanden, begleitet von dumpfem Au f prall, wenn sie sich in den Boden des Schloßh o fes bohrten. Sie zermürbten die Gemüter der Frauen und Kinder, die verängstigt in den Kasematten hockten.
Nicht alle ließen sich von den großen Marmeln sonde r lich beeindrucken. Der kleine schüchterne Junge und das Mädchen hatten sich vor ihrer Amme unter den Stufen der Steintreppe versteckt, die zum Observatorium hinau f führte. Sie hielten sich bei jedem Pfeifen, das sie über ihren Kö p fen vernahmen, die Augen zu und wetteten blind auf das Ziel: ›Dach‹ oder ›Hof‹. Sodann verfolgten sie mit Enth u siasmus den Schaden in den Dachziegeln und das Kullern der Kugeln im Sand, den man auf das Pflaster aufgebracht hatte, um ein Springen der Gescho s se zu verhindern.
Eine besonders große Marmel kam langsam auf das Ve r steck der Kinder zugerollt, was zur Entdeckung der be i den durch die aufgelöste Amme führte. Sie fuchtelte verzwe i felt mit den Armen, daß die Kinder zu ihr kommen sollten, doch die betasteten interessiert den runden Stein, der vor ihnen zum Stillstand gekommen war. Soldaten nötigten sie mit freundlichem Zureden, ihre Höhle zu verlassen, und trugen sie – immer im Schatten der Mauer – hastig hinüber zum schützenden Donjon, bevor das nächste Geschoß h e ranschwirrte.
»Die Garnison gibt die Hoffnung keineswegs auf«, b e richtete Ramon Perelha mit gewissem Stolz dem Komma n danten, dem Vicomte de Mirepoix. »Noch halten die kat a lanischen Armbrustschützen den Zugang zur Burg nach allen Seiten frei, noch halten sich die Verluste der Käm p fenden in Grenzen, noch können alle Wehren au s reichend bemannt werden …«
»Auch in Anbetracht der Tatsache, daß die parfaits selbst bei der größten Bedrohung niemals zu den Waffen gre i fen würden«, fügte der leitende Ingenieur sarkastisch hinzu.
»Wenn sie das täten«, entgegnete ihm der junge Komma n dant, »dann würden sie sich selber aufgeben, und der Mon t ségur wäre verraten, noch bevor er kapitulieren mü ß te!«
»Davon kann überhaupt nicht die Rede sein!« unter b rach sie der Kastellan barsch. »Vorräte und Feuerholz sind reichlich vorhanden, die Zisternen wohl
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