Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
ein Franziskaner nicht in seinen schlim m sten Hungervisionen vorstellen kann!«
Amüsiert betrachtet er meinen Bauch, über dem sich die braune Kutte beängstigend spannte, obgleich ich hier im Feldlager jeden Tag sicher etliche Pfunde – na ja, Unzen – verlor. Ich schämte mich, und Gavin weidete sich an me i ner Verlegenheit.
»Der Tempel Salomonis zu Jerusalem liegt auf einem anderen Sephirot als die Portiuncula; er ist ein magischer Ort – das gleiche gilt auch für den Montségur da oben!«
Ich schwieg; ich war zutiefst verwirrt. Welche Abgründe taten sich da auf?
Oder sollte ich mich fragen, zu welchen Höhenflügen ist der menschliche Geist fähig?
Unser zum Stillstand gekommenes Vordringen – ich fühlte mich durch meine Gebete mit den tapferen Basken da oben verbunden, als sei ich selbst – Gott bewahre! – in vorderster Linie dabei, ermutigte den Ketzerkommanda n ten und seinen Kastellan, einen Ausfall zu wagen, um die ›Maueranbeterin‹ auf der Barbaca-ne zum Schweigen zu bringen.
In einer windig-trockenen Winternacht – günstig, um Pech und Feuer an die Maschine zu legen – schlich sich ein kleiner Trupp – ausgesuchte Teufel! – aus einem verborg e nen Seitenauslaß. Aber die Verteidiger verfügten leider auch über ein baskisches Hilfskontingent, das frech auf Rache an den verräterischen‹ Landsleuten brannte, unseren braven Montagnards, denen sie vorwarfen, ›im Judaslohn der französischen Unterdrücker zu stehen‹.
So verkehrte sich die Welt dieser Bergbauernlümmel: Kein Gedanke daran, daß sie mit ihren Untaten ihrer heil i gen Mutter, der Kirche, in den Rücken fielen! Nein, selbst im Sold des Bösen – und solcherart verdorbenen Sinnes, daß sie geschworen hatten, die Unsrigen sollten ›mit durc h schnittener Kehle an dem Blutgeld ersticken‹.
Fast hätte die vertraute Sprache den Überraschungsan g riff gelingen lassen, doch schnell unterschied Mundart – Dank der heiligen Mutter Gottes! – zwischen Freund und Feind, und es kam zu einem wüsten Tumult.
Der Waffenlärm tönte bis hinab zu uns ins Tal, wo am Fuß des Pog Bischof Durand entsetzt die ersten Flammen am Gebälk seines kostbaren Katapults züngeln sah.
Ich war zu ihm getreten. »Maria voll der Gnaden!« bet e te ich laut. Was konnte ich sonst zur Rettung der adoratrix murorum beitragen?
»Halt die Schnauze mit deinem Geflenne!« brüllte er mich an. »Sorg lieber dafür, daß sich der Wind dreht!«
Ich ließ mich nicht verdrießen. »Laudato si ’ mi signore per i l f rate vento«, fiel mir die passende Zeile meines He i ligen Franziskus ein, »et per aere et nubilo et sereno –«
»Es ist nicht zu fassen!« heulte der Bischof auf und schlug mit seinem Stab nach mir, während über uns in be i zendem Pechrauch und flackerndem Feuerschatten Mann gegen Mann kämpfte. Losungsworte, Flüche, T o desschreie zerflatterten im eisigen Wind.
»Soll ich denn nicht beten?« fragte ich kleinlaut.
»Nein, blasen!« Gavin lachte voller Sarkasmus. Er hatte sich im Dunkeln unbemerkt zu uns gesellt. Schweigend starrten wir in die Höhe, Körper stürzten über die Kli p pen und zerschellten Hunderte von Metern tiefer in den Fel s wänden. Schließlich behielt unsere Besatzung der Barbac a ne die Oberhand, konnte die Anstürmenden z u rückjagen und die Brandherde löschen.
»Laudate e bendicite mi ’ Signore et rengratiate e se r veateli cum grande humilitate!« Gavin hatte diesen A b schluß des cantico zitiert – ich hatte mich nicht mehr g e traut, das Maul aufzumachen. Der Bischof warf ihm einen Blick zu, als wolle er sichergehen, ob der Templer noch ganz bei Trost sei. Ich war stolz auf ihn, hatte er doch d a mit die Ehre eines kleinen Minoriten wiederhe r gestellt.
»Die Anführer der Verteidiger sollten sich bewußt sein«, gab Monsignore Durand zu bedenken, »daß sie solche Au s fälle nicht beliebig wiederholen können, ohne die Zahl der Kampfeswilligen auf der Burg ernstlich zu schwächen.«
»Sie könnten noch lange aushalten«, sinnierte der Tem p ler, ohne dabei seinen Blick vom Montségur zu wenden.
»Doch nicht ewig!« Der Bischof war kein Fanatiker des Glaubens, sondern ein pragmatischer Techniker.
»Ein einsamer Adlerhorst«, Gavin gab sich nicht die g e ringste Mühe, seine Sympathien zu kaschieren, »in einem Lande, wo längst keine Vögel mehr singen.«
Es hätte mir arg schwärmerisch geklungen, wenn da nicht so viel Trauer mitgeschwungen hätte – und selts a merwe i se gin g d
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