Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Schatzkammer
Konstantinopel, Kallistos-Palast, Herbst 1246
»Was war das?« fragte Crean ruhig, während Hamo bei diesem heiseren Blaffen, das in ein Knurren überging, z u sammengezuckt war. »Das klang, als käme es aus der U n terwelt.«
»Das ist dieser gräßliche Styx!« sagte der Bischof, und sein angewiderter Gesichtsausdruck zeigte, daß er es auch so meinte. »Ein neapolitanischer Molosser, gekreuzt mit einer Luxor-Dog-ge, wie man sie im Sudan zur Jagd auf entlaufene Sklaven benutzt, ein widerwärtiges Vieh! Ich wollte es nicht im Haus haben, noch im Garten, doch das Küchenpersonal liebt diese Kreatur. So ist sie nun in die unterirdischen Gänge rund um das Labyrinth ve r bannt – ich warte nur darauf, daß die Bestie eines Tages mit tri e fenden Lefzen an meinem Bett auftaucht und mir das G e sicht ableckt – bevor sie mich zerfleischt!«
»In Wahrheit bewacht der Hund Eure Schatzkammer – sonst hättet Ihr ihn längst getötet«, wandte Crean kühl ein.
Hamo gab die Antwort: »Er hat nur Angst, sein Koch würde ihn dann vergiften; der ist ganz närrisch mit dem Styx, gleichwohl das gute Hundchen, weil stets unter Erde, wahrscheinlich längst erblindet ist!«
Und wieder ertönte dieses mal knirschende, mal schma t zende Grollen.
»Vielleicht ist die Bestie so wenigstens nützlich, Erdb e ben anzukündigen«, scherzte der Bischof.
»Oder Gäste!« beeilte sich Hamo gerade festzustellen, als der Page eintrat und die Ankunft hohen Besuches a n sagte, mit großem Gefolge, ein päpstlicher Legat.
Hamo war erschrocken aufgesprungen. Das konnte nur dieser düstere Kerl sein, der mit dem schwarzen U m hang, der ihnen durch ganz Italien gefolgt war – bis sie ihn durch das Opfer Robertos an der Wildwasserklamm abgehängt hatten.
»Der Häscher des Grauen Kardinals!« stammelte er furchtsam. »Ihr müßt mich schützen!« Er klammerte sich an Crean, doch der Bischof winkte ab.
»›Vitellaccio di Carpaccio‹ kann es kaum sein!« Er straffte sich zu episcopaler Würde, lächelte seinen Gästen beruhigend zu, zeigte sich dennoch besorgt genug, den A n kömmlingen entgegenzugehen.
In der Halle traf er zu seiner angenehmen Überraschung auf Lorenz von Orta, den er kannte, wenngleich nicht in Amt und Würden als päpstlicher Legat. Lorenz befand sich auf der Rückreise aus dem Heiligen Land und war in B e gleitung zweier Araber höheren Standes, die er dem B i schof vorstellte:
»Der edle Faress ed-Din Octay, Emir des Sultans, und der Kanzler der Assassinen von Masyaf, Tarik ibn-Nasr.«
Da letzterer – nach Austausch der Begrüßungsformein – ziemlich dringend, fast unhöflich, Crean zu sehen b e gehrte, sah Nicola keine Veranlassung, die Besucher nicht in den ›Mittelpunkt der Welt‹ zu bitten.
Zu seinem Erstaunen begrüßten sich auch Crean und der junge Emir auf das herzlichste, und selbst Hamo rief e r freut: »Roter Falke!« und umarmte den gutaussehenden Araber. »Das ist Konstanz von Selinunt«, verkündete er lauthals, »Ritter des Kaisers Friedrich!«
»Vergiß das alles, und zwar sofort, Hamo!« sprach der so Präsentierte mit freundlichem Nachdruck. »Hier bin ich Botschafter meines Sultans, und auch das nur für Freu n de. Meine Reise ist keineswegs offiziell und daher auch nicht ungefährlich. Fügen wir keine unnötigen Risiken hinzu.«
Er trat bescheiden zurück, und Hamo senkte beschämt den Kopf. Die Welt der Ritter war – statt von schlichten Tugenden – von komplizierten und nicht immer ganz sa u beren Praktiken beherrscht.
Konstanz winkte den Bischof diskret zu sich, während Tari k u nd Crean sich nach draußen in eine Ecke der Lo g gia zurückzogen. Man ließ ihn allein mit dem päpstlichen L e gaten, vor dem er sich – ob des bedeutsamen Titels – fürc h tete. Dabei schien dieser Lorenz recht heiteren G e mütes zu sein. Schalk sprühte ihm aus den Augen, als Hamo, um seine Verlegenheit zu überbrücken, aus heit e rem Himmel ihm das Schachspiel der byzantinischen Prinzen zu erlä u tern begann.
»Wir hätten dem jungen Grafen nicht die Expedition au f bürden dürfen«, konstatierte Tarik Ibn-Nasr. »Die Schuld muß ich mir geben, Crean. Ich werde mein Haupt dem Großmeister zu Füßen legen«, fügte er trocken hinzu, u n geachtet des besorgten Ausdrucks seines Untergebenen und Zöglings. »Es gibt keinen Zweifel: William lebt! Es war der naheliegende Schluß, ihn dort zu suchen, wo ihn Hamo das letzte Mal lebend gesehen hatte: in der Gebir g smark der Saratz,
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