Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
anderen und vor allem des finsteren Firouz, des ei n samen Jägers, den ich oft von weitem erblickte, der aber immer wegsah, sobald ich irgendwo auftauchte. Mancher Stein, der mir in Wand oder Halde plötzlich von oben entgegen s prang, mag von seiner Hand ins Rollen g e bracht worden sein.
Ich traf mich mit Rüesch meist zur Stunde des Mitta g läutens, ein Ritual, das ich selber eingeführt, in einer abg e legenen Hütte. Sie war für Notfälle wie plötzlich einse t zende Schneefälle mit Heu für die Tiere gefüllt und ka r gen Vorräten für die Hirtinnen. In dem duftenden Haufen fielen wir übereinander her wie Verdurstende, lagen auch trä u mend Hand in Hand, meist in dieser Reihenfolge.
Es war mir aufgefallen, daß sie nicht mehr mit ihrer Cousine Madulain zusammen hütete, der sie sonst für die Zeit unseres Stelldicheins ihre Herde anvertraute, sondern allein mit allen ihren Ziegen erschien.
»Madulain ist in Firouz verliebt«, klärte mich meine Braut auf.
»Wie schön«, sagte ich, »dann gibt er doch endlich Ruh ’ !«
»Ach, William«, sagte sie und streckte ihre nackten Be i ne aus, daß der Rock verlockend hochrutschte, »du bist jetzt schon bald ein Jahr bei uns und hast immer noch nicht begriffen, daß er sein Gesicht nicht verlieren kann –«
»Eine verlorene Braut ist doch kein Grund, sich umzu b ringen«, lachte ich.
»Sich nicht, aber den anderen!« Rüesch lag auf dem Rücken; ich schob den Rock etwas höher, sie wußte, was ich wollte, und das wollte sie auch. »Ich müßte ihn bitten, mich zur Frau zu nehmen, dann kann er ›nein‹ sagen und sich einer anderen zuwenden. Das verlangt Madulain von mir!«
»Dann hättest du dein hübsches Gesicht noch lange nicht verloren!« verspottete ich sie und warf ihr den Rock mit einem Ruck über ihren Kopf. Vor mir lag ausgebreitet das Tier, das dunkel glänzende Fellchen, Abwehr und Ei n ladung zugleich. Ich beugte mich herab, aber sie schlug den Rock zurück.
»Wir Mädchen haben kein Gesicht!« sagte sie ernst.
»Na, also, dann tu ihr – und uns – doch den Gefallen!«
Rüesch funkelte mich an. »Und wenn er ›ja‹ sagt!?«
»Er muß vorher schwören, daß er so was nicht –«
Rüesch kam nicht weiter in ihren Ausführungen, denn meine Zunge war frech in das Kraushaar gefahren, was Rüesch immer erst mal kitzelte, wie sie behauptete. Sie versuchte zwischen Juchzern und Kichern den Sittendi s kurs zu Ende zu bringen.
»Das hat mir Madulain auch versprochen!« seufzte sie. »Ach, William …« , was mich animierte, mich nun mit Lust meiner mir zugewiesenen Aufgabe zu widmen; aber das Problem des gesichtslosen Firouz verfolgte mich, minderte meine Inbrunst.
»Sollte ich vielleicht«, stieß ich auftauchend hervor, meine Zunge zur Formulierung meiner Gedanken beurla u bend, »vielleicht mit Firouz reden –?«
Rüesch preßte statt einer Antwort meinen Kopf mit be i den Händen zurück in das zu bestellende Gärtchen, aber bevor ich Mund und Nase wieder in ihm vergraben kon n te, tauchte hinter ihr aus dem Heu das versteinerte G e sicht von Madulain auf, die Haare wirr mit getrockneten Halmen bedeckt, die Augen weit aufgerissen. Sie schü t telte lautlos beschwörend den Kopf, starrte mich flehend an und ve r sank wieder im Heu, wie eine Ertrinkende.
Ich hatte während der ›Erscheinung‹ zwar in meinem Bemühen nicht innegehalten, aber meine Begierde, Pei t sche meiner von Rüesch so geschätzten Zungenfertigkeit, erlosch zusehends, um alsbald auch meine Bewegungen ermatten zu lassen. Rüesch hatte nichts von all dem b e merkt, nur mein ungewohntes Nachlassen.
»Macht nichts, William«, sagte sie mütterlich. »Du bist erschöpft von dem Weg«, sie nötigte mich, meinen Kopf zwischen ihren Brüsten zu rasten. »Du bist ja völlig a u ßer Atem!« bemerkte sie besorgt meinen Schwächeanfall. »Ruh dich aus«, setzte sie liebevoll hinzu, »ich muß mich jetzt um die Tiere kümmern. Heute abend hol ’ ich dich ab und begleite dich hinunter.«
Sie verließ die Hütte, aber ich sprang auf und folgte ihr, denn jetzt noch ein Disput mit der offensichtlich stark ve r wirrten Cousine, das war mir zu viel.
»Es geht schon wieder!« scherzte ich mühsam. »Es ist das Alter!«, und ich küßte meine verständige Braut und hüpfte wie ein Böckchen – so munter zu erscheinen hof f te ich wenigstens – über Stock und Stein hinab ins Dorf. Ich verschwieg Rüesch die ›Begegnung‹.
VIII
SOLSTIZ
Des Bischofs
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