Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
erholt hatte, bis sie unter einer Hand geeint war – es mußte erst ein Saladin auftreten, der von Syrien bis Kairo alle Macht auf sich vereinigte. Dann aber war es um die Christen schnell geschehen. Nach der Schlacht bei den Hörnern von Hattin ging ihnen Jerus a lem wieder verloren. Nicht so, wie sie es gewonnen ha t ten – o nein! Saladin vergoß nicht das Blut von Besiegten. Er b e schämte sie? O nein! Sie kannten keine Scham.
Aber sie überlebten. Unter den Nachfolgern Saladins zerfiel die Macht des Islam in drei große Zentren: Ba g dad als überhöhter Ort, Thron des obersten Herrschers aller Gläubigen, des Kalifen; das reiche Damaskus, stark in se i nem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit und d a durch selbst den Christen offen; und schließlich der Sitz des Sultans, das mächtige Kairo, Gefangener seiner ruh m reichen Vergangenheit und seiner Söldnerheere. Dazw i schen viele kleinere und größere Emirate, die mal mit der einen, mal mit der anderen Seite zusammengi n gen. Es ging längst nicht mehr um die Durchsetzung e i nes Glaubens; auch die kriegerischen Eroberungen waren seit langem ausg es tanden. Es ging nur noch um Handel und Häfen. Es herrschte zwar kein Frieden, aber eine kaum unterbrochene Folge von Waffenstillständen: Mal zahlen die Emirate von Homs und Hama Tribut an den christlichen Herrn von Be i rut, mal erheben die Assass i nen Steuern von Sidon und Tripolis; die Engländer leihen sich das Heer von Mossul und führen es gegen die Franzosen von Jaffa oder Tyros. Und der Hof des Königreichs von Jerusalem« residiert in Akkon.
H undert Jahre sind seit dem Beginn der Kreuzzüge ve r gangen. Unter der glühenden Sonne des Morgenlandes hat jeder sein schattiges Plätzchen gefunden, ob Christ oder Moslem; man hat sich zusammengefunden. Da kreißt das Tier und gebiert ein Ungeheuer, einen Purpu r träger, wie ihn die Welt noch nicht gesehen: Innozenz III.
S eine Instinkte hatten das Tier nicht im Stich gelassen. Es witterte das Heraufziehen einer Gefahr: Irgendwo schmiedete Gott ein Eisen, das ihm die Gurgel aufschli t zen konnte.
Das Eisen waren die Staufer, die das deutsche Königtum erblich gemacht hatten und seit dem großen Barbarossa den Kaisertitel gleich dazu. Dessen Sohn heiratet die letzte Normannenprinzessin, Erbin des Königreiches Beider Siz i lien.
Was das Tier immer befürchtet hatte, war eingetreten: die Vereinigung des Südens mit dem Reich, › unio regnis ad imperi-um ‹ , und das Patrimonium Petri dazwischen in tödlicher Umklammerung!
Dem kaiserlichen Paar wird zu Jesi ein Sohn geboren: Friedrich II. Innozenz, der selbst mit dem Anspruch der Weltherrschaft der Päpste sein Amt angetreten hatte, ado p tiert den jungen Staufer; das Tier versucht Friedrich mit seinen Tentakeln zu umgarnen, ihm das Gift der Gefügi g keit einzuspritzen.
Mit Innozenz auf dem Stuhle Petri ist dem Ungeheuer ein Haupt von ungeahnter Gefährlichkeit erwachsen. Es schlägt nicht blind um sich, sondern es greift versteckt an, es versetz t t ödliche Stiche, unter denen das gesamte Abendland erschauert.
M it teuflischer List wird der nächste Kreuzzug mit Hilfe Venedigs, das seine Händlermacht beachtlich ausweiten kann, gegen das schismatische Byzanz umgeleitet. Der os t römische Patriarch, dem Papsttum so lange ein Dorn im Auge, muß fliehen. Daß damit der Damm des Aben d landes gen Osten zerstört wird, kümmert den haßerfüllten Reiter auf der Bestie wenig.
Bösartig führt Innozenz den nächsten Schlag gegen die Ketzer, die Katharer Okzitaniens. Ihre Häresie, dem Prunk der römischen Amtskirche die Bedürfnislosigkeit der eig e nen Priester entgegenzustellen, den düsteren Drohungen der Dominikaner die freudige Gewißheit des Paradieses, der Käuflichkeit und Vetternwirtschaft der Ecclesia catol i ca die freiwillige Opferbereitschaft der ›Reinen‹ – das alles war dem Tier seit eh zuwider. Jetzt war der Tag der Rache gekommen.
Dem Frankreich der Capets versprach das Ungeheuer Land und Titel des reichen Südwestens, und die Mach t gier der Könige in Paris setzte sich über alle Bedenken hinweg. So wurde der ›Kreuzzug gegen den Gral‹ entfe s selt, der Krieg gegen die Al-bigenser. Wenn das Ung e heuer sich seinen Namen nicht schon vorher verdient hatte, jetzt e r warb es sich ihn mit einer Grausamkeit, die kein Scheusal auf Erden zuvor bewiesen.
Im Flammenodem des Tieres verbrannten die Städte. Katholiken, Katharer und Juden – »Verbrennt sie alle!« lautete die
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