Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
vere i nen. Man verstand sich als Bollwerk gegen die Völker der aufgehenden Sonne und als Mittler zugleich.
Das Tier saß in Westrom. Im Niedergang des Reiches ging die imperiale Macht erst an germanische Soldatenka i ser, dann an das ›Sacrum Imperium Romanum‹ in der Hand der Deutschen. Doch die von ihren Anfängen an auf irdischen Erfolg abgerichtete Kirche war keineswegs g e willt, auf den Primat der Macht zu verzichten. Die ›Päpste‹, so nannten sich die obersten Priester des Ungeheuers, schmückten sich mit der Tiara, der dreifachen Krone, auf dem Haupt und zeigten ihren angehäuften Reichtum ohne Scham: Sie sahen sich als die wahren Nachfolger der Ca e saren. Diese vicarii Christi, Stellve r treter des Gottessohnes, heischten Gehorsam und befa h len huldigende Fürsten vor ihren Thron. Dem Patriarchen von Byzanz wie auch dem deutschen Kaiser muteten sie zu, sich vor dem Tier zu ve r neigen. So beschwor Rom das Schisma herauf und den Streit um die Investitur: Wer setzt wen ein? Der Papst den Patriarchen? Der Kaiser den Papst?
Seit dem Untergang des Römischen Reiches und dem Eindringen der einst barbarischen Völker aus dem No r den und Osten hatte sich das Antlitz des Orbis Mundi verä n dert. Colonia, London, Paris waren längst keine in die ke l tisch-germanische Wildnis vorgeschobene Garnisonen mehr, sondern Mittelpunkte von mächtigen Landen. Car o lus Magnus hatte noch caesaren-gleich über die Welt der untergehenden Sonne geboten. Danach bildeten sich zwar eigenständige Königreiche, doch über allen stand, als eine Institution von Gottes Gnaden, der ›Ka i ser‹!
Im Westen, auf der iberischen Halbinsel, und im Süden Italiens, der zu Byzanz gehörte, hatte der Okzident zwar Einbrüche der jungen Kraft des Islam zu ertragen. Dafür dehnte sich das Reich immer weiter nach Osten aus, unte r warf die Könige von Böhmen, Polen und Ungarn se i ner Lehnspflicht, missionierte den Norden, und aus den Grenzmarken wurden Herzogtümer.
Der König von Frankreich hätte es den Deutschen gerne gleichgetan, doch ihm verblieb wenig Raum, und er hatte nicht die Autorität der Kaiserkrone.
Der reiche Südwesten, Toulouse und das Languedoc, war weder ihm noch Rom botmäßig. Hier hatten sich Gn o sis und Mani wie Tau auf fruchtbarer Erde niedergeschl a gen, war das ›sang réal‹, das königliche Blut, zum ›San Gral‹, dem Heiligen Gral geworden.
Der Legende nach waren hier die Kinder Jesu an Land gegangen, waren von den Juden im Exil aufgenommen worden. Ihr Blut, das der Belissen, hatte sich erst mit den keltischen, dann mit den gotischen Königen vermischt. Das Haus Okzitanien, die Merowinger, die Trencavel, ja, die gesamte Nobilität des Landes leitet sich von ihnen ab. Hier entstand der Begriff des Adels, der von Gott gewollten B e vorzugung eines bestimmten Blutes. Sein Land, diese jah r hundertelang in sich geschlossene Insel der Seligen, mit ihrer eigenen Sprache, der › langue d ’ oc ‹ , ein Land mit e i genen Gesetzen, den leys d ’ amor, und seiner eigenen Rel i gion, in der das Paradies nahe war und ein Papst nicht vo r kam, schenkte dem Okzident die Poesie der Minne und der Troubadoure. Es gerät erst in das begehrliche Auge Fran k reichs und in das schele Roms, als sich im zweiten Mille n nium nach Christi Geburt das Abendland noch einmal – unheilvoll, selbstzerstörerisch – in Bewegung setzt.
R om war längst nicht mehr Mittelpunkt des Abendla n des; die Apenninhalbinsel war zum Anhängsel geworden. Die Lombardei, einst Kernstück des Reiches, versuchte dessen Vormundschaft abzuschütteln. Das Patrimonium Petri‹, so nannte mittlerweile das Tier sein Gehege, war inzwischen zum eigenen Staat, zum Kirchenstaat, gewo r den. Den blühenden, aber wilden Süden des Landes, das ehemalige Königreich Beider Sizilien‹ hatte inzwischen eine Handvoll normannischer Abenteurer den Arabern en t rissen.
Die Päpste waren an den Rand des Geschehens gedrängt worden, das sich immer weiter nach Norden, West und Ost verlagert hatte, und sie wurden nur noch ab und an von den Macht-habern besucht – meist heimgesucht.
Das konnte das Tier nicht ertragen. Ohne Not beschwor Rom das offizielle Schisma herauf. Byzanz weigerte sich nun endgültig, die Oberhoheit des Papstes anzuerkennen.
Etwa ein Jahrzehnt später kommt es zu einem folge n schweren Gefecht im Norden Europas. Die Normannen setzen über den Kanal und erobern das Königreich En g land, wodurch auf französischem Boden die Kräfte
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