Gralszauber
herum um davonzustürmen.
Als Lancelot ihm folgen wollte, fiel er mit einem stolpernden Schritt auf die Knie und konnte gerade noch den
Arm ausstrecken um nicht ganz zu stürzen. Die geliehene
Kraft versiegte so jäh, wie sie gekommen war. Mit einem
Male spürte er jeden einzelnen Schlag, den ihm Mordred
versetzt hatte. Müdigkeit schlug wie eine klebrige schwarze Woge über ihm zusammen und er musste all seine Willensstärke aufbieten, um sich nicht einfach auf die Seite
fallen zu lassen und die Augen zu schließen.
Als er wieder in die Wirklichkeit zurückfand, war Mordred nicht mehr da und auch das unheimliche graue
Leuchten über dem Altarstein war erloschen. Artus lehnte
zitternd an dem schwarzen Fels und schien mit aller Kraft
darum zu kämpfen, nicht auf der Stelle zusammenzubrechen. Das Stöhnen von Verwundeten und süßlicher Blutgeruch hingen in der Luft und da war noch etwas: Die unwirkliche Stimmung, die den Cromlech erfüllt hatte, war
noch immer fühlbar, aber sie hatte sich verändert. Hatte
Lancelot bisher das intensive Gefühl gehabt, sich an einem
heiligen Ort zu befinden, so spürte er nun ebenso deutlich,
dass dieser heilige Ort geschändet worden war.
Blut war vergossen worden an einem Platz, der dem
Frieden und den Geistern einer anderen Welt geweiht
worden war.
Müde hob er den Blick und suchte die Stelle ab, an der
ihm der Gral erschienen war. Natürlich war er nicht da.
Vielleicht war er niemals da gewesen. Er wollte es nicht
wirklich wissen. Da waren so viele Fragen und so unendlich wenige Antworten. Vielleicht war es gut, dass er sie
nicht kannte. Vielleicht war er gut damit beraten, sich
selbst einzureden, dass es nichts als ein Trugbild gewesen
war, eine Halluzination, von Erschöpfung und Todesangst
hervorgerufen. Denn wenn das, was er gesehen hatte, tatsächlich geschehen war, dann bedeutete das …
Nein. Er weigerte sich, diesen Gedanken auch nur zu
Ende zu denken.
Lancelot stand mühsam auf, schob das Schwert in die
Scheide, legte den Schild ins Gras und ging mit schleppenden Schritten auf Artus zu.
Der König blickte ihm ruhig entgegen. Sein Gesicht war
bleich. Schmerz und Erschöpfung hatten tiefe Linien hineingegraben. Er sah um Jahre gealtert aus und unendlich
müde.
»Ihr müsst Lancelot sein«, sagte er. Seine Stimme besaß
so wenig Kraft wie sein Blick und war kaum mehr als ein
Flüstern.
»Das ist richtig. Und Ihr seid Artus.«
Lancelot senkte das Haupt und wollte sich auf ein Knie
herablassen, aber Artus hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. »Ich bitte Euch, Sir Lancelot. Ich müsste vor Euch auf die Knie fallen, nicht umgekehrt. Wenn Ihr nicht
gekommen wärt, dann wäre ich jetzt tot.«
Dem konnte Lancelot schwer widersprechen. Ein wenig
unbehaglich sagte er: »Ich hätte eher kommen müssen,
dann hätte ich vielleicht das Schlimmste verhindern können.« Vielleicht nur eine Minute. Vielleicht gerade die
Zeit, die er gezögert hatte die Rüstung anzulegen.
»Ihr seid gekommen, das zählt«, sagte Artus. »Also stehe ich nun das zweite Mal in Eurer Schuld, Sir. Ich hoffe
doch, dass Ihr mir diesmal erlaubt, Euch in angemessener
Weise zu danken, und nicht sofort wieder die Flucht ergreift.«
Lancelot fühlte sich immer unbehaglicher. Er hätte die
Flucht längst ergreifen sollen. Es war ein Fehler, überhaupt mit Artus zu reden. Ohne Artus’ Frage direkt zu
beantworten, drehte er sich herum und sah zu seinem
Pferd.
Das Tier hatte sich bis an den Rand des Steinkreises zurückgezogen und scharrte mit dem verletzten Bein am
Boden. Es blutete stark.
»Im Moment würde mir das schwer fallen, fürchte ich«,
sagte er.
»Ein prachtvolles Tier«, sagte Artus. »Macht Euch keine
Sorgen, Sir. Wir werden ihm die bestmögliche Pflege angedeihen lassen. Was ist mit Euch? Seid Ihr verletzt?«
»Nur in meinem Stolz«, antwortete Lancelot schulterzuckend. »Dieser Schwarze Ritter hätte mir nicht entkommen dürfen.«
Er sprach diese Worte mit Bedacht aus, um Artus’ Reaktion darauf zu prüfen, aber als sie kam, wusste er nicht
ganz genau, was er davon halten sollte.
»Ihr habt nicht gegen einen Mann gekämpft, sondern
gegen schwarze Magie, Sir Lancelot«, sagte er. »Ich danke
Gott, dass Ihr noch am Leben seid.«
»Euer Gott«, erwiderte Lancelot betont, »hat nicht besonders viel damit zu tun.«
Er behielt Artus scharf im Auge, während er das sagte,
aber wieder reagierte der König nicht so, wie er es erwartet hätte. »Gleichwie«, sagte er,
Weitere Kostenlose Bücher